Freitag, 10. Mai 2013

Der Sir geht


„Ähm … Wir haben … ähm … wir haben uns gut vorbereitet … das … ähm … ... das wird ein schweres Spiel, der Gegner ist gut eingestellt, wir werden alles geben.“ So oder so ähnlich endet es oft, wenn überrumpelte deutsche Kommentatoren kurz vor dem Start eines Premier-League-Spiels ein kurzes Interview mit Sir Alex Ferguson eingespielt bekommen und sich redlich mühen, dem schottischen Akzent des Trainers zu folgen und eine passable Übersetzung zu liefern. Liegt es am Kaugummi, ist es der Akzent? Egal. Wer mit der englischen Sprache nicht häufig in Berührung kommt, wird von den Ausführungen des scheidenden United-Trainers wenig verstehen. 

So erging es auch Ron-Robert Zieler, der im Gespräch mit Welt Online noch im Februar 2012 rotwangig an sein erstes Treffen mit Ferguson zurückdachte: „Ich habe ihn kaum verstanden. Ich konnte noch nicht so gut Englisch. Und er mit seinem schottischen Akzent. Dennoch war ich total beeindruckt, ihm gegenübersitzen zu dürfen. Ich habe versucht, das Wesentliche mitzukommen. Wahrscheinlich war ich recht schüchtern. Unter den Tisch gelabert habe ich ihn jedenfalls nicht.“

Viele andere haben ihn vom ersten Tag an verstanden und der Rest tat es nach einiger Gewöhnungszeit (auch Zieler übrigens). Es gab kaum Jahre, in der Manchester United unter dem Trainer Alex, später Sir Alex Ferguson so richtig erfolglos war. Er führte den Verein mit straffer Hand und hatte das Glück, Ende der 90er Jahre eine goldene Generation betreuen zu dürfen. Beckham, Scholes, Giggs (der glaube ich damals schon alt war), die Nevilles, Solskjaer, Yorke, Cole – angeleitet von einem Trainer, der schon etwas spielen ließ, das heute alle „schnelles Umschalten“ nennen, führten diese Spieler United zurück an die Spitze des internationalen Fußballs.

In den vergangenen Jahren liefen viele große, auch legendäre Spieler im Old Trafford auf. Doch die Keanes, Cantonas, Ronaldos, Rooneys und van Persies waren nicht die allein entscheidenden Faktoren für den beständigen Erfolg. Seit ich denken kann, spielt United fast jede Partie unglaublich stabil, aus einem extrem schwer zu bespielenden zentralen Mittelfeld heraus. Selbst der eher dezente Michael Carrick nimmt eine extrem wichtige Rolle ein und es waren immer sachliche Arbeiter wie Carrick, die in Fergusons System die heimlichen Stars waren.

Viele Trainer geloben vor dem Spiel, dass sie dem Gegner ihre Spielweise aufzwingen wollen. Manchester United ist eine der wenigen Mannschaften, die das dann auch regelmäßig tun. Die 1999er haben den spektakuläreren Fußball gespielt als das Team von heute. Der Fan in Deutschland war direkt begeistert, weil der englische Fußball damals noch in einem so scharfen Kontrast zum Geschiebe in der Bundesliga stand. Doch das heutige Team schafft etwas aus Trainersicht viel wertvolleres. Es bestreitet die Spiele mit einer fast lässigen Dominanz, die nur dann an Grenzen stößt, wenn andere Klubs mit immenser individueller Klasse im richtigen Moment die wertvollen Treffer landen (z. B. Real Madrid in dieser Champions-League-Saison).

Der nuschelnde, rotgesichtige Schotte, der manchmal schon wie seine eigene Statue auf der eingeziegelten Trainerbank im „Theater der Träume“ saß, hat in all den Jahren eine Mannschaft geschaffen, die auf dem Platz stets weiß, was sie tut. Und ähnlich wie der FC Bayern in Deutschland ist auch United in England nicht dauerhaft – ja, nicht einmal für einige Jahre – von der Tabellenspitze zu verdrängen. Als Freund von Arsenal erinnere ich mich noch immer mit hüpfendem Herzen an die Jahre, in denen die Gunners Meister wurden, einmal gar unbesiegt blieben. Doch der sture Sir Alex und seine, das sei auch erwähnt, nicht billige Truppe ließen sich nie lange abschütteln, von niemandem.

Nun soll also David Moyes die Mannschaft übernehmen und hat direkt einen Sechs-Jahres-Vertrag erhalten. Der unauffällige Schotte hat einen zwiespältigen Ruf. Die einen loben ihn dafür, dass er Everton mit relativ geringen Mitteln und klugen Transfers nicht nur in sicheres Fahrwasser gebracht hat, sondern sogar dauerhaft im oberen Tabellendrittel mitmischt. Andere monieren seine Vorsicht, im Spiel wie auf dem Transfermarkt. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Das Wort der Stunde ist „verlässlich“. So wird Moyes hierzulande oft beschrieben. Er ist kein „Special One“, nicht mal ein „Semispecial One“, aber so etwas wurde Ferguson auch erst durch seine Erfolge. Der Vergleich hinkt ein wenig, aber genauso wie Dieter Hecking in Wolfsburg beweisen muss, dass er Geld auch ausgeben kann, wenn er es denn hat, steht Moyes in Manchester vor der Aufgabe, nicht nur ein guter Sparminister, sondern auch ein guter Einkäufer zu sein.

In einem Punkt ist die Besetzung des Postens mit dem bisherigen Everton-Coach in jedem Fall schlau: Moyes erweckt in keinster Weise den Eindruck, ein echter Ersatz für Ferguson zu sein. Folglich wird ihn zunächst auch niemand am Stil und am Erfolg des Vorgängers messen. Einem Jose Mourinho, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti hätte die Öffentlichkeit nach wenigen schwachen Spielen vorgehalten, dass sie es nicht so gut können wie der Sir. Bei Moyes hingegen wird das regelrecht erwartet, er kann nur gewinnen. Wenn die Red Devils ihm dann tatsächlich sechs Jahre Zeit geben, werden wir 2019 vielleicht einen David Moyes erleben, den wir uns heute noch nicht vorstellen können. Vielleicht kommt es aber auch anders, und er trainiert dann längst wieder den FC Everton.

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