Dienstag, 22. Januar 2013

Zur Halbzeit eingewechselt

Er selbst wird das bestimmt nicht so empfinden, aber wer die Vita des Schalker Trainers Jens Keller  zur Hand nimmt, erkennt durchaus eine Parallele zwischen dem Start auf Schalke und dem lange vergangenen Debüt des früheren Verteidigers in der Bundesliga. Beim VfB Stuttgart wurde er 1990, Deutschland war gerade Weltmeister geworden, bei einer 0:1-Niederlage gegen Bremen zur Halbzeit eingewechselt. Die Verbindung ist schwach und erfordert einige Phantasie, aber sie ist da.

Auch im Winter 2012 wird Keller gewissermaßen zur Halbzeit eingewechselt. Beim Blick auf die Tabelle könnte man, wenn die Qualifikation für die Champions League der Maßstab ist, durchaus davon sprechen, dass es 0:1 aus Gelsenkirchener Sicht steht. Damals kam Keller für Frontzeck, dieses Mal für Huub Stevens, in beiden Fällen wurde Erfahrung durch Jugend verdrängt. Und wie seinerzeit der knapp 20-Jährige Flügelspieler nicht unbedingt zum Hoffnungsträger taugte, so versagt ihm die öffentliche Meinung auch jetzt die Fähigkeit, das Ruder herumzureißen.

Warum nicht mal einen Jungen Mann bringen, wird sich im November '90 Trainer Willi Entenmann gedacht haben und gleiches ging nun nach eigener Aussage auch Horst Heldt durch den Kopf. Wobei es um die Beförderung des Jugendtrainers ja die wildesten Gerüchte gibt. Als guter Freund des Bosses, heißt es, habe er es leicht gehabt, in den Kreis der Kandidaten aufzurücken. Als seriöser Manager eines Großklubs wie Schalke sollte Heldt derlei Geschichten selbstverständlich völlig lachhaft finden. Dass er im Interview bei Sky dazu überhaupt Stellung nimmt, macht die Sache eher pikanter als ihr Wind aus den Segeln zu nehmen.

Keller hat jedenfalls mit seinem sehr unglücklichen ersten Trainerjob in der Bundesliga zu kämpfen. Stuttgart befand sich in sehr viel prekärerer Lage als Schalke heute und der Trainerneuling hielt ganze zwei Monate durch, bevor er einem gewissen Bruno Labbadia weichen musste. Gut möglich, dass es in diesem Jahr genauso kommen wird. Das Erbe von Stevens ist kein leichtes. Die Ansprüche sind hoch, vielleicht zu hoch, denn der weitgehend unerfahrene Keller soll schaffen, was sich sonst nur die besten der Trainerzunft zutrauen dürfen: einen der ersten vier, am besten der ersten drei Plätze ergattern. Und das in einer Zeit, in der Aufsteiger nicht mehr Meister werden, überraschende Leistungen in den Spitzenregionen also längst nicht mehr stattfinden.

Jürgen Klopp, Jupp Heynckes, Huub Stevens, Andries Jonker (als Interimstrainer, und das auch noch bei den Bayern), Louis van Gaal, Felix Magath und Thomas Schaaf sind die Trainer, die es seit 2008/09 am 34. Spieltag ins Spitzentrio der Liga schafften. Einer fehlt in dieser Reihe noch, und der könnte Keller Hoffnung machen. Markus Babbel hat das Kunststück mit Stuttgart vollbracht, und der hat nach diesem Erfolg gezeigt, dass ihm das im Grunde auch nicht zugetraut werden kann. Hinter einer erfolgreichen Mannschaft stand in allen anderen Fällen aber auch ein guter Trainer. Keller hat sich bisher keine Sporen verdient, hat die Fehler, die jeder Neuling macht, nicht bei Vereinen gemacht, bei denen es ihm verziehen wird. Er hat nicht den Spielraum, durch eine falsche Maßnahme ein Spiel herzuschenken, weil es für irgendeine graue Maus eh nur um Platz zehn geht. Es geht um Platz drei oder vier und Schalke startet mit Rückstand – da darf es keine Fehler geben.

Für Kellers schmale Schultern klingt das nach viel Gepäck. Seine rhetorische Unbeholfenheit hilft ihm da auch nicht gerade. Schablonenhaft erzählte er am Freitag Abend, einmal in einem vorher aufgezeichneten Interview und einmal an Ort und Stelle mit fast den gleichen Worten, dass ihn das Medienecho nach dem Bayern-Spiel doch überrascht habe. Das klingt dann auch ein bisschen naiv, denn selbst Schalke verliert nicht alle Tage derart kläglich gegen die Bayern. Es folgte das Spiel gegen Hannover, das, statt Klarheit zum Rückrundenauftakt zu bringen, eher Verwirrung stiftete. Lewis Holtby wird sich vielleicht aus dem Staub machen und das wiederum wurmt Klaas-Jan Huntelaar, der sich gerade für längere Zeit den „Knappen“ verschrieben hat. Und es mutmaßlich schon wenige Erdumdrehungen nach der Unterschrift schon bereut. „Ich weiß nicht, was Schalke vorhat“, ließ er uns heute wissen, und in seiner Stimme lagen Zweifel, fast Verzweiflung. Da müssten wir den Horst fragen, sagte er noch.

Da der gerade nicht da ist, spekulieren wir doch mal ein wenig... Nein, das wäre jetzt Doppelpass-Niveau. Sicher ist, dass Schalke auf der Position des Spielmachers und der des Trainers Qualität verloren hat. Michel Bastos sollte nicht unterschätzt werden, das ist ein guter Kicker. Doch er ist als Ersatz für Ibrahim Affellay gedacht. Für das Zentrum steht bisher nur Raffael bereit, der sich zuletzt in Kiew keinen Namen machen konnte. Heldt sollte daher die nur leicht verhüllte Aufforderung seines Star-Stürmers ernst nehmen und noch einmal auf dem Transfermarkt aktiv werden.

Die weitere Geschichte nach Kellers Bundesliga-Einstand als Spieler ist übrigens schwer zu deuten. Nach dem Auftritt in Bremen machte er bis zu seinem Wechsel zu den Löwen im Jahr 1992 kein Spiel mehr. Immerhin wurden die Schwaben in diesem Jahr aber Deutscher Meister. Und Manfred Schnalke, der bei Kellers erstem Spiel als Manndecker auf dem Feld stand, wusste eh schon, wo es den Jungspund einst hinverschlagen würde. Er hat seine Prophezeiung nur geschickt getarnt.

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