Freitag, 7. Dezember 2012

Luftschloss oder Zukunft großer Turniere? Die UEFA und die Euro für Europa

Man hört, die Idee habe Charme. Die Europameisterschaft 2020 soll in 12 bis 13 Städten auf dem gesamten Kontinent ausgetragen werden und schon liegen Revoluzzer und Bewahrer in den Schützengräben und schießen mit der üblichen Munition: mit Vermutungen, Gerüchten, Vorurteilen. Damit das klar ist – da will ich natürlich auch munter mitmachen!

Zunächst will ich gar nicht verhehlen, dass ein solches Turnier dem Fernsehzuschauer ein einzigartiges Erlebnis liefern wird. An einem Tag ein Spiel in Madrid und eines in Rom, die schönsten Stadien in Europa werden bespielt, der Rahmen wird bei jeder Partie schlicht grandios sein. Insofern hat der Plan der UEFA, eine „Euro für Europa“ auszurichten, tatsächlich Charme. Doch wie sagt man so schön? Alles, was vor dem „aber“ gesprochen wird, kann man direkt vergessen. Also: Aber...

Die Auswahl der Spielorte

Eine Vielzahl von Städten in ganz Europa als Austragungsorte, kleine, große, arme, reiche - das klingt nach Abwechslung und Fairness bei der Vergabe des Privilegs, Spiele der Euro ausrichten zu dürfen. Doch wenn man genau hinschaut, werden es wohl wieder die üblichen Verdächtigen werden. Hinlänglich diskutiert ist bereits das Dilemma um Glasgow und Cardiff, die über geeignete Stadien verfügen, aber vermutlich zu nah an London liegen, als dass sie Chancen hätten, Gastgeber des großen Spektakels zu sein. Es wäre eine einmalige Chance, denn selbst Schottland und Wales zusammen könnten unter normalen Umständen keine Euro modernen Zuschnitts mit 24 Mannschaften stemmen.

So dürfen sich eben London, Madrid, Lissabon, Berlin, Rom, Stockholm, Warschau, Wien, Kiew, Moskau, Istanbul, Athen, Amsterdam, Brüssel und Paris die größten Hoffnungen machen. Michel Platini, der Anwalt der Kleinen in Europa, wird wohl noch Bukarest, vielleicht Tiflis oder Zagreb ins Gespräch bringen. Dass optisch reizvolle Provinzstädte noch zügig 40.000-Mann-Arenen, Flughäfen und Autobahnen bauen, um Teil des großen Festes zu werden, ist doch eher zu bezweifeln. Und so wird der Reiz, ein europäisches Land für sich genommen in seiner Vielfalt kennenzulernen, verloren gehen.

Der Spielplan

Stehen erst die Spielorte fest, hat die UEFA das Problem, einen ausgewogenen Spielplan zu basteln, zu dem niemand sagen kann, er sei bei dem Turnier benachteiligt worden. Der Heimvorteil eines oder zweier Gastgeber wird akzeptiert, bei einem über Europa verstreuten Turnier könnten allerdings ganz andere Begehrlichkeiten entstehen. Wenn die großen Nationen durchsetzen, dass sie Gruppenspiele nach Möglichkeit im eigenen Land austragen, stellt sich die Frage, wer zu Auswärtsspielen antreten muss.

Wer erklärt dem Niederländer, dass das Spiel gegen Deutschland in Berlin stattfindet, am nächsten Tag aber Österreich gegen Israel in Amsterdam spielt? Und werden die Franzosen ohne Murren zum Vergleich mit England ins Wembley-Stadion reisen? Und wenn Portugal schon in Rom gegen Italien spielen musste, dann möchten sie wenigstens im ersten K.O.-Spiel zuhause gegen Spanien antreten, wo die doch schon zwei Heimspiele in der Vorrunde hatten. Wenn das Mitsingen der Hymne bei einem Turnier schon ein großes Thema werden kann, werden Diskussionen wie diese tiefe Gräben ziehen.

Die Alternative ist, jede Mannschaft grundsätzlich auswärts spielen zu lassen. Oder, und das wäre aus sportlicher Sicht besonders reizvoll, schwächere Gegner in der Vorrunde im eigenen Stadion gegen die Großen antreten zu lassen. Das hätte schon fast etwas vom DFB-Pokal. Ob ein solcher Modus aber den großen Verbänden zu vermitteln ist, darf doch bezweifelt werden. Die Angst der Organisatoren, dass etliche Zugpferde so scheitern könnten, dürfte groß sein. Die Angst der Fans, dass viele dieser Entscheidungen hinter verschlossenen Türen und mit dubiosen Absprachen getroffen werden, ist ebenfalls nicht gering. In jedem Fall ist sie größer als die Hoffnung auf eine wahre Revolution der Austragung.

Die Logistik

Die Frage, wie Mannschaft und Fans und Fernsehen und Sponsoren von A nach B kommen – und das in wenigen Tagen – wird den Skeptikern ordentlich Auftrieb geben. Die Euro für Europa ist ein Kraftakt für alle Beteiligten. Die Spiele der eigenen Mannschaften ansehen und nebenbei noch ein paar Auftritte der „Exoten“ mitnehmen, das wird es so nicht mehr geben. Die Fluggesellschaften werden jubilieren, denn Bustouren von Lissabon nach Moskau werden wohl eher die Seltenheit bleiben. Die Stimmung in den Stadien ist bei Länderspielen – zumindest in Deutschland – meist ohnehin dürftig. Wenn der Anteil der neutralen Zuschauer in den Stadien steigt, wird sich keine Besserung einstellen.

Wo die Teams Quartier beziehen, wird ebenfalls eine spannende Frage. Wenn es überhaupt noch ein festes Quartier geben wird, dann wird man sich wohl für Mitteleuropa entscheiden. Deutschland, die Alpenländer, die Tschechische Republik, Polen. Es wird in diesen Ländern mehr Medien- und Fanrummel geben, der Fokus der Vor- und Nachberichterstattung wird hier liegen. Es ist wenigstens möglich, dass hier weitere Ungleichheiten entstehen.

Hat das Vorhaben der UEFA nun „Charme“ oder nicht?


Wie immer bei ungelegten Eiern ist das schwer zu sagen. Als Jubiläumsturnier und einmalige Veranstaltung wird der Modus funktionieren. Für die Spieler wird es vermutlich ebenfalls ein besonderes Erlebnis, dass kein Turnierspiel in Lwiw stattfindet, sondern dass es fast ausschließlich in europäische Hauptstädte geht und dass sie in wenigen Tagen die Atmosphäre eines Spiels in der Türkei und in Schweden schnuppern können.

Die große Herausforderung besteht darin, aus einem der wichtigsten sportlichen Turniere der Welt nicht ein Schaulaufen auf roten Teppichen werden zu lassen. Das Ergebnis darf kein Abenteuer für den Jetset sein. Die Entfernungen zwischen den Spielen des eigenen Teams müssen so gestaltet sein, dass sich auch der normale Fan mit einigen Monaten Sparen und ein wenig Resturlaub auf die Reise machen kann. Zudem müssen Spielorte und -zeiten so ausgewählt sein, dass im Wettbewerb der Teams Chancengleichheit herrscht. Die UEFA hat sich mit ihrer Idee eine Menge Hausaufgaben auferlegt, sie zu bewältigen wird einiges diplomatisches Geschick und mit Sicherheit viele Kompensationen erfordern. Am Ende wird es sein wie immer. Die Skepsis im Vorfeld wird der Anerkennung eines gut organisierten Turniers weichen. Den Rest entscheiden letztlich die Fans, indem sie das Turnier annehmen oder mit dem neuen Ansatz fremdeln.




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