Freitag, 29. Juni 2012

Schluss mit lustig

Der Präsident hat es gesagt. Auch der Manager. Und der Trainer sowieso. Die Verantwortlichen des DFB waren sich einig, dass die deutsche Mannschaft ein gutes Turnier gespielt hat in Polen und der Ukraine. Sicher, vier von fünf Spielen gewann die Truppe, das ist bei einem Turnier, das eine so hohe Leistungsdichte aufweist, ein Erfolg. Ohne Zweifel. Doch dieses Mal wollten alle mehr, der deutsche Fan besann sich auf seine Instinkte und versuchte sie mit dem neuen Event-Hokuspokus in Einklang zu bringen, den uns die Klinsmann-Ära gebracht hat. Das Ergebnis sind weinende Fans allerorten.

In den neunziger Jahren zählte nur der Erfolg. Die „Philosophie“, die Berti Vogts der Mannschaft vermittelte und die ihren Stil prägte, verschaffte den Fans keine anderen Glücksmomente als den Blick nach Schlusspfiff auf die Anzeigetafel. Er rumpelte sich zu einer endlos scheinenden Serie ungeschlagener Spiele, wurde Europameister, und immer, wenn diese Errungenschaften des „Terriers“ in dieser Zeit angeführt wurden, geschah das verblüfft und etwas beschämt. Unter Erich Ribbeck und Rudi Völler änderte die Mannschaft ihr Auftreten nur unwesentlich. Die Europameisterschaften 2000 und 2004 gingen komplett in die Hose und wie Carsten Ramelow, Carsten Jancker und Co. es ins WM-Finale von Yokohama schafften – legen wir den Mantel des Schweigens darüber.

Entscheidend in den Jahren nach Vogts war, dass der deutsche Fan nach wie vor keine Kunststücke seiner Mannschaft bewundern durfte, gleichzeitig aber der Blick auf die Anzeigetafel den Unterhaltungswert eines Übersteigers von Jörg Heinrich hatte. Wer es mit der DFB-Elf hielt, stand zwischen 1998 und 2004 meist mit leeren Händen da, Punkte und Spielkultur waren vergriffen und Schimpftiraden und karierte Sakkos waren prägnantere Merkmale der Trainer als ihre Idee vom modernen Fußball. Als 2004 der Wahlamerikaner Jürgen Klinsmann den Laden übernahm, war allein sein Dasein als Wahlamerikaner schon Grund genug für einen hochdekorierten Bundesliga-Manager, via Bild-Zeitung regelmäßig an die vermeintliche Pflicht eines Bundestrainers zu erinnern, in Deutschland ein kleines Haus mit Garten zu bewohnen und keine Strandvilla in Los Angeles.

Klinsmann war schlau genug und hatte genug US-Sport gesehen, um zu wissen, an welcher Schraube er wirksam drehen konnte. Die Ergebnisse kann außerhalb Italiens niemand beeinflussen, aber die Art und Weise, wie Deutschland Fußball spielt, sollte sich endlich ändern. Junge Spieler, die dem guruhaft auftretenden ehemaligen Stürmer blind folgten, rannten sich die Seele aus dem Leib. Plötzlich waren Länderspiele kein Pflichttermin mehr, Deutschland hatte wieder Bock auf diese Elf. Die damals Gestrigen wurden nicht müde, allerlei Statistiken heranzukarren und zu belegen, dass die Mannschaft unter Klinsmann nicht erfolgreicher geworden war. Und Erfolg war doch immer der Maßstab gewesen! Wo sollte das bloß hinführen... Spätestens 2006 war das dann der Masse absolut egal.

Die EM-Deppen von 2004 waren plötzlich gefeierter WM-Dritter, wenn auch im letzten Spiel freundlich durchgewunken von sichtlich lustlosen Portugiesen. Poldi und Schweini eroberten die Welt und obendrein gab es auch noch einen Film. Wäre die Mannschaft im Achtelfinale ausgeschieden, hätte es den Hype natürlich nicht in der Form gegeben, aber der dritte Platz genügte, um mit einem enormen Marketing-Etat eine neue Fankultur rund um die Nationalmannschaft zu etablieren. Diese Kultur hat als Insignien Irokesen-Perücken in schwarz-rot-gold, Gesichtsschminke und Blumenketten in den Landesfarben. Sonne und Bier sorgten für Emotionalisierung bis zur Hysterie. Die Fanmeile zu besuchen war ein Abenteuer mit sich selbst, ein Bad in einer gleichgesinnten Menge, ekstatische Trance für neunzig Minuten, hemmungsloses Grölen und animalisches Saufen – für die Rheinländer: so etwas wie Karneval im Sommer. Am Ende der Partie waren die meisten zu betrunken, um die Torschützen aufzuzählen.

So achtlos wäre der Fan 1999 noch nicht mit Treffern umgegangen. Als Löw übernahm stabilisierte sich das Team, die Fanmeilen blieben aber und bei mittelmäßig erfolgreichen Spielen fand die Spielweise plötzlich mehr Kritiker als das meist noch recht ordentliche Ergebnis. 2008 und 2010 stand noch das berühmte Ziel im Vordergrund, „sich gut zu verkaufen“. Ziele wurden konkret nicht benannt, der Titel war ein Traum, galt aber nicht als realistisch. Es ging um das Drumherum, das Public Viewing, die Weltoffenheit – Siege waren der Kraftstoff der Sommermärchen geworden, dienten als Triebfedern eines gesellschaftlichen Ereignisses. In all dem Getöse ging unter, dass die deutsche Mannschaft zwar immer weit kam in den Turnieren, an der Hürde zur absoluten Spitze aber stets scheiterte. Vor dieser EM meldete sich endlich der Titel-Hunger zurück. Klinsmanns Blickfang hatte seinen Glanz verloren, Schweini und Poldi sind heute Stars und Stars müssen auch gewinnen. Jeder spürte in diesem Sommer, dass der Titel drin war. Eine Halbfinalteilnahme wurde vorausgesetzt und nicht mehr stürmisch bejubelt.

Der emotionalisierte, hysterische Fan wollte nun also nicht nur saufen und rennende Spieler sehen, sondern auch noch den maximalen Erfolg. Welche Blüten diese Mischung treibt, sah man an weinenden Menschen nach 30 (!) Minuten gegen Italien. Diese Enttäuschung ist genauso übertrieben wie der grenzenlose Jubel über ein 1:0 gegen Ghana. Wenn in Zukunft der endgültige Schritt zur Weltspitze das Maß der Dinge wird, wird es weitere Rückschläge geben. Und wenn die Eventkultur enttäuscht wird, dann zieht sie weiter. Vielleicht erleben wir im Kater der Euro das von vielen lange vermisste Korrektiv zum Halligalli seit Klinsmann. Die Kritik an Joachim Löws Taktik gegen Italien zeigt, wie schnell aus Helden Verlierer werden. Das Geschenk, dass Deutschland eine spielstarke Mannschaft besitzt, liegt in der Ecke, ist uninteressant geworden, die Kinder haben etwas neues im Schaufenster des Spielwarenladens entdeckt. Dass damit nur die Spanier oder Italiener spielen dürfen, macht es umso interessanter.

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