Dienstag, 19. Juni 2012

Deutschland wird Europameister

Ich weiß noch wie heute, dass es 1996 zur EM am Kiosk, das bei mir auf der Straße „Das kleine Kaufhaus“ hieß, und das meine Freunde immer „Teuer-Büdchen“ nannten, ein Heft gab, in das der Sammler Karten der Nationalspieler einheften konnte. Es trug den Namen „Deutschland wird Europameister“ und heute würde ich von derlei Artikeln aus Gründen der bösen Vorahnung Abstand nehmen, denn welcher Fan, der seinen Schal nicht wäscht, einen Cent auf dem Türrahmen liegen hat und vor jedem Spiel seinen Schlüsselanhänger küsst, möchte den Erfolg einer Nation schon mit der Anschaffung einer solchen Großkotzigkeit im Vorfeld des Turniers gefährden?

Der abergläubische Fan denkt so, andererseits strahlt dieses kleine Druckerzeugnis einen entwaffnend naiven Optimismus aus. Der Glaube an einen Titel macht sich auch im Jahr 2012 wieder breit, doch die Einschätzungen der deutschen Fans, dass die Chancen auf eine insgesamt erfolgreiche Dienstreise unserer Nationalspieler nach Polen und in die Ukraine groß sind, haben mit Naivität nichts zu tun.

Die Todesgruppe hat die Mannschaft von Joachim Löw schon einmal sehr lebendig verlassen, neun Punkte hatte niemand erwartet. Die DFB-Elf hat den Vorteil, dass sie sich auf diese Weise schon sehr viel Respekt verschafft hat. Diese Chance hätten die Spanier nur mit klaren Siegen gegen die Truppe aus dem Café King und die Kroaten gehabt – jeweils gab es aber nur knappe Ergebnisse. Für schlotternde Knie bei den Gegnern in den K.O.-Runden hat das 4:0 gegen überforderte Iren jedenfalls nicht gesorgt.

Die Niederländer bedürfen keiner weiteren Beschreibung, sie werden der deutschen Mannschaft nicht mehr gefährlich werden. Und die hoch gehandelten Franzosen haben es bei ihrem einzigen Vorrundensieg geschafft, mich nach einem langen Arbeitstag in den Schlaf zu spielen. Wen also fürchten bei dieser Euro? Wem soll die deutsche Mannschaft aus dem Weg gehen? Im Prinzip niemandem.

Objektiv betrachtet hat jede Mannschaft schon Schwächen gezeigt, auch Löws Jungs. Bei Deutschland hatten diese Schwächen aber keine Folgen. Das beschwört zum einen einmal mehr den Mythos der „Turniermannschaft“, zeigt zum anderen aber auch, dass das Team sehr stabil seine Punkte einfährt und in brenzligen Situationen immer eine Antwort parat hat. Diese Antwort hat den Franzosen gegen Schweden gefehlt, als es darum ging, ein Viertelfinale gegen Spanien zu verhindern. Als eben diese Spanier von den Kroaten fast in den Urlaub geschickt wurden, haben auch Xavi & Co. ratlos gewirkt.

Sabotiert wurde die Truppe von der iberischen Halbinsel zudem von ihrem Trainer, der sich in die Idee verliebt hat, Spiele ohne Stürmer zu gewinnen, und diese Taktik just in der entscheidenden Phase des Spiels wieder auspackte. Dass am Ende das Tor fiel, war kein Ergebnis dieser Maßnahme, sondern das Produkt des beherzten Eingreifens zweier Mittelfeldspieler, die kurz Stürmer spielten, und so im Verbund den mit reichlich verblüffter Miene ausgewechselten Fernando Torres ersetzten.

Nein, die stürmerlosen Spanier haben einen großen Teil ihrer Aura eingebüßt. Das Gefühl, sie nicht schlagen zu können, wurde durch die Zweikampfführung und Raumaufteilung der Italiener und Kroaten zerstreut. Der Rest des Feldes konnte, mit Ausnahme der Niederländer, schon vor dem Turnier ohne große Vermessenheit als machbar eingeschätzt werden. Wenn die Konzentration also am Limit bleibt und Mesut Özil noch – wie vom Bundestrainer prophezeit – explodiert, dann spricht mit Verlaub wenig gegen einen Titel. Der Aberglaube wird uns weiter Demut diktieren und Überraschungen kann es immer geben.

Aber gemessen an den Vorrunden 2008 und 2010 haben wir souveräne Spiele der deutschen Mannschaft gesehen. Gönnen wir uns also den naiven Optimismus, dass die Mannschaft das schon schaukeln wird. Der Sammelspaß beim 1996 erworbenen Heft hielt sich im Übrigen in Grenzen, beim Erstkauf erstand man bereits alle Sammelkarten.

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