Donnerstag, 14. Juni 2012

Vom Kampf zum Krampf - England und die Taktiker des Kontinents

Was ist nur aus der englischen Nationalmannschaft geworden? Was ist los mit dem Team, das 1996 im eigenen Land an einer unterkühlt Fußball arbeitenden deutschen Mannschaft gescheitert war, aber mit einer im kontinentalen Fußball der damaligen Zeit unbekannten Laufbereitschaft viele Herzen gewonnen hatte? Der Stern eines Steve McManaman ging auf, was nicht nur an seinem Namen sondern vor allem an seinen Flügelläufen lag. Die Bilder des neckisch blond gefärbten, mit hochrotem Kopf auf dem Boden jubelnden Paul Gascoigne gingen um die Welt.

Das glühende Haupt des undisziplinierten Offensivspielers wurde noch auf dem Platz dank einer Dusche aus der Trinkflasche gelöscht und auch das Feuer der Engländer, das ihren Fußball von dem der übrigen Favoriten unterschied, ist über die Jahre abhanden gekommen. Wenn sich die „Three Lions“ heute gegen Frankreich einen Punkt ermauern, dann ist von unbedingtem Siegeswillen nicht mehr viel zu sehen. Eingezogen in das Haus der englischen Taktik ist Ergebnisfußball, der Chelsea den Titel in der Champions League brachte und das Nationalteam bei der Euro weit bringen soll.

Das sieht selten schön aus und hat Chelsea beim DFB schon den Ruf einer Gefahr für den Fußball der Zukunft eingebracht. „Schuld“ am neuen Auftreten sind mit Sicherheit die vielen gewieften Taktiker, die in der Premier League und für die FA an der Außenlinie stehen. Die Mourinhos, Mancinis und Di Matteos bremsen den sorglosen Offensiv-Eifer der besten Talente bereits in den Vereinen. Auf internationalem Parkett lief es kaum anders. Sven-Göran Eriksson und Fabio Capello versuchten, den Kickern aus Wembley die meist sehr leidenschaftliche, aber genauso oft ineffektive Spielweise - eine offensive, an moderne Aufstellungen angepasste Form des „Kick and Rush“ -  abzugewöhnen. 

Die Meistertrainer muteten bei den großen Turnieren an wie ihre Kollegen, die europäische Taktikvorstellungen auf dem afrikanischen Kontinent etablieren wollten. Hier wie dort scheiterten gute Konzepte am Problem, dass eine Art zu spielen, ein charakteristischer Stil, von den zur Verfügung stehenden Spielertypen wie von selbst mit Leben gefüllt werden muss. Wenn ich mit einem guten Freund mit englischen Wurzeln im Pub sitze und Fußball gucke, dann jubelt er enthusiastischer über ein gelungenes Tackling als über ein schönes Tor. Ja, Christopher, du bist gemeint.

Ein Trainer, der diese Mentalität zu einem System umformen kann, trifft den Nerv der Mannschaft und findet ihre Mitte. Ein Übungsleiter von der Insel scheint prädestiniert für diesen Job, doch mit Roy Hodgson hat die FA nun ausgerechnet den Engländer verpflichtet, der selbst wiederum dem einen Punkt verpflichteter scheint als den drei Punkten. Und so bleibt Gesetz, was das Umfeld von Mourinho über Dani Alves sagte: „Ein Esel mit Brille bleibt ein Esel“. Mögen sie noch so gedrosselt und vermeintlich taktisch klug spielen, in jedem Engländer schlummert der Kämpfer, der  eigentlich nur rennen und kämpfen will – und dafür auch im Fall der Niederlage vom Publikum bejubelt würde.

Unseren Europameistern von '96, deren bester Spieler durch eine Platzwunde und ein Büroutensil unsterblich wurde, den Stil der heutigen DFB-Elf einzuprügeln, wäre eine Mission Impossible gewesen. Das Beispiel des Sieges der Vogts-Elf zeigt, dass Wunder passieren können (=Dieter Eilts Europameister), wenn eine Mannschaft das tut, was sie am besten kann. Und das ist im Fall der Engländer der Fußball, der, als die Premier League Mitte der Neunziger in den Fokus rückte, eine  vom Kontinent isolierte Entwicklung nahm und damit so tapfer der Globalisierung des Taktierens trotzte.

Doch die Utopie, dass eine große Mannschaft bei einem großen Turnier, sei es nun auf Vereins- oder internationaler Ebene, noch einmal ausschließlich über Rennen und Kämpfen zum Erfolg kommen will, darf ich mir in Gedanken gönnen, damit rechnen darf ich nicht. Schade, denn es wäre schön, wenn das, wofür die Teams von Schottland und Irland stehen, von guten Fußballern interpretiert würde. Dass dieses Experiment wohl nie gestartet werden wird, liegt vor allem daran, dass 1996 eben Deutschland und nicht England Europameister wurde.

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