Donnerstag, 1. März 2012

Der Schuh drückt hinten rechts - und jetzt auch noch ein wenig an der Ferse

Ein wenig, ein ganz klein wenig hat das Länderspiel gestern an die Auftritte der DFB-Elf erinnert, bevor Jürgen Klinsmann einst das grüne Leibchen in den Keller packte und ein angriffslustiges Rot verordnete. Jetzt ist das Trikot, in dem Christian Wörns, Jörg Heinrich und Jens Jeremies den Ruf der Nationalmannschaft als humorlose Defensiv-Maschinerie prägen durften, also zurück. Und ausgerechnet im Carsten-Ramelow-Traditionstrikot* werden eklatante Abwehrschwächen deutlich.

Joachim Löw redete nach dem Spiel nicht lange um den heißen Brei. Der Abstand zwischen Mittelfeld und Abwehr sei zu groß gewesen. Um eine Mitschuld des defensiven Mittelfelds auszuschließen, fügte er gleich an, dass die Viererkette nicht hoch genug gestanden habe. Trainer picken sich bei Fehlern ihrer Mannschaft in der Rückwärtsbewegung selten einen einzelnen Mannschaftsteil als den schuldigen heraus.

Löw hat es getan und damit der ohnehin schon hitzig geführten Debatte um die richtige Besetzung in der Verteidigung neues Futter gegeben. Lange Zeit war Per Mertesacker der unumstrittene Fixpunkt, um den herum Löw eigentlich aufstellen konnte, wen er wollte. Selbst Arne Friedrich und Christoph Metzelder machten so den Eindruck, als könnten sie höchsten Ansprüchen genügen. Größere Ausfälle wie gestern gab es bis vor einem Jahr selten. Seit Mertesacker aber die Form verloren hat, einige Verletzungen wegstecken musste, auch noch die Bundesliga verlassen hat und damit dem geneigten Fan nicht mehr Woche für Woche präsent ist, herrscht das Chaos vor Manuel Neuer.

Mats Hummels ist vom Talent her der im Moment beste deutsche Innenverteidiger und Löw tut gut daran, ihm viel Einsatzzeit zu geben. Mit mehr Sicherheit in seinem Spiel dürfte er bald beim DFB eine ähnlich starke Rolle wie beim BVB spielen. Ob es noch rechtzeitig zur EM – und vor allem ohne einen starken Partner – klappt, ist allerdings nicht sicher. Führen wird der Dortmunder die Abwehrreihe in Polen und der Ukraine noch nicht können.

Das Spiel gegen Frankreich hat die Frage aufgeworfen, warum eigentlich Holger Badstuber so sicher im Sattel sitzen soll. Das erste Tor ging bei genauerem Hinsehen auf seine Kappe. Den Fehler, dass er ein paar Meter vor der Abwehr agiert und sich hinter ihm Lücken auftun, kennen wir schon aus der Bundesliga, zum Beispiel vom Auswärtsspiel der Bayern in Mainz. Gestern musste Badstuber zur Pause gehen. Während Hummels plötzlich einen festen Platz zu haben scheint, wackelt sein Kollege aus Bayern bedenklich.

Der andere Kollege aus Bayern, Jerome Boateng, hätte sich eindrucksvoll aus der Mannschaft gespielt, wenn nicht der Notstand auf der rechten Verteidigerposition wäre. Beim ersten Gegentreffer nicht eingerückt und mit der Deckung eines imaginären Außenstürmers beschäftigt, hielt er beim zweiten Tor der Gäste den Versuch für unnötig, den Ball in die Mitte durch eine beherzte Grätsche zu unterbinden. Das sah lustlos aus, hinzu kamen einige ungeschickte Fouls. In der Offensive hatte er mehr gute Aktionen als in seinem Kerngeschäft. Das sollte Löw zu denken geben.

Benedikt Höwedes hätte ich gern neben Hummels in der Innenverteidigung gesehen, er musste von Boateng aber die Außenbahn übernehmen. Warum er bei Schalke und in der Nationalmannschaft als Kandidat für diese vakante Stelle gilt, wird zunehmend zum Rätsel. Er ist nicht wendig, hat kein besonders starkes Dribbling, seine Flanken sind unpräzise. Er ist „nur“ zweikampf- und kopfballstark, das passt nun einmal eher zu einem Innenverteidiger. Da Boateng technisch noch etwas mehr zu bieten hat, wird er sich auf der rechten Seite auch durchsetzen. Schade, dass Höwedes im Roulette um die Innenverteidigerposten scheinbar keine Rolle spielt.

Philipp Lahm und Per Mertesacker sind die großen Gewinner des Spiels, weil sie in Bremen nicht dabei waren. Da der Kapitän ohnehin gesetzt ist, wird daher vor allem der ehemalige Werderaner noch etwas motivierter an die Reha gehen. Er sieht in der Premier League manchmal hölzern aus, zu langsam für das schnelle Spiel. Zwei Dinge sollten wir aber nicht vergessen. Zum einen werden bei der Euro kaum Mannschaften ein derartiges Tempospiel wie die meisten Klubs der englischen Liga aufziehen können oder wollen. Die Defizite bei Antritt und Beweglichkeit werden also nicht so schwer wiegen. Außerdem trainiert und spielt Mertesacker Woche für Woche auf höchstem Niveau.   Diese Expertise nicht zu nutzen, wäre bei der aktuellen Konkurrenz ein Fehler.   


*) Mir ist übrigens klar, dass das Trikot auch vor Vogts, Ribbeck und Völler eine Tradition hatte, mit der durchaus andere Spielweisen verbunden werden können. Meinem Alter ist es jedoch geschuldet, dass ich spontan an die Zeit des Rumpelfußballs denke, wenn ich grün sehe.

Keine Kommentare: