Dienstag, 17. Januar 2012

Ein Mann sieht Rot

Was ist bloß los im Mutterland? Nachdem den Fans die Stehplätze, den Spielern der Alkohol, neureichen Clubs die Identität und einigen traditionsreichen Stadien die Namen genommen wurden, erleben wir dieser Tage das letzte Rückzugsgefecht des guten, alten englischen Fußballs. Im Mittelpunkt steht mit Roberto Mancini ein Mann, dessen Arbeitgeber wie kein zweiter für die Evolution der Premier League steht.

Es geht um Fairness, ein zentrales Anliegen auf der Insel. Obwohl – oder gerade weil England die einzige Top-Liga besitzt, in der der glatte Beinbruch noch eine gängige Folge eines Tacklings ist, geht es meist um den Kampf mit offenem Visier. Anschließend sollen Schädiger und Geschädigter wenig aus der Sache machen, meckern beim Schiedsrichter gilt als verweichlicht und kontinental. Ehe ein Gary Caldwell gestikulierend auf einen Schiedsrichter zuläuft, muss der schon etwas Gravierendes übersehen haben.

Ausgerechnet Wayne Rooney, dieser Baumstamm von einem Kerl, der wie kaum ein anderer für die Werte des „traditionellen“ englischen Fußballs steht, hat nun im Derby gegen City eine rote Karte für Vincent Kompany gefordert. Der bekam sie auch prompt, völlig zu unrecht und das auch noch gleich zu Beginn des Spiels. Heikel war vor allem die zeitliche Folge von Foul, Protest und Bestrafung, aber unterstellen wir dem Schiedsrichter mal, dass er seine Entscheidung schon vor Rooneys Konsultation getroffen hatte.

Roberto Mancini sah das, als die Niederlage dann besiegelt war, naturgemäß etwas anders. Er klagte ein, dass Rooney gefälligst dem Schiedsrichter die Bewertung der Szenen überlassen solle. Als daraufhin wider Erwarten kein Sturm der Entrüstung über die Untat des englischen Nationalstürmers durch die Yellow Press fegte, schien Mancini so beleidigt, dass er einfach selbst den Rooney machte.

Gegen Liverpool verging sich Glen Johnson an City-Verteidiger Joleon Lescott, und Mancini forderte den Platzverweis. Da hatte er aber das Gerechtigkeitsempfinden der Erfinder des modernen Fußballs gänzlich falsch eingeschätzt. Als erster bemühte sich Steven Gerrard um kritische Worte, die Auge-um-Auge-Idee des italienischen Star-Trainers drehte er einfach um: Wer andere kritisiert, dass sie eine Karte fordern, der dürfe das nicht wenige Tage später selbst tun. Klingt logisch. Ganz britisch platzte der Kapitän der „Reds“ mit dieser Ansage in ein Interview hinein, das Mancini gerade der BBC gab.

Stur wie ein Tevez trotzte Mancini diesem ersten Rüffel und legte gestern Abend nach. Wigan-Verteidiger Maynor Figueroa spielte den Ball mit der Hand und der City-Coach tat es schon wieder: Er forderte die Karte, in dieser Situation konnte es nur die rote sein. Gegenüber der BBC erklärte er noch einmal, dass ja auch Rooney so gehandelt habe, außerdem sehe ihn der Schiedsrichter auf der Bank ja nicht, also sei das in Ordnung.

Rooney fragte via Twitter „Hat Mancini etwa eine rote Karte gefordert?“. So macht sich Mancini zum Gespött. Er verliert eh gerade die Lust an seinem Job. Sein Team verliert die entscheidenden Spiele, die Scheichs drehen ihm langsam den Geldhahn zu und nun auch noch die Debatte um das Schwenken einer imaginären Pappkarte. Vielleicht ist der positive Nebenefffekt, dass diese letzte Bastion der Premier League, die Verachtung für theatralische Gesten, wieder etwas fester steht.

Keine Kommentare: