Sonntag, 6. Februar 2011

Angeknockt

"Ich hoffe, ich werde ihn nicht brauchen," erklärte Felix Magath nach seinem jüngsten Transfercoup auf Schalke, "aber es ist gut, eine Versicherung zu haben." Der ehemalige Weltklasse-Boxer Wladimir Klitschko soll künftig für die Pflege des Betriebsklimas zuständig sein, falls die Herren Heldt (Sportdirektor ohne Funktion) und Tönnies (immerhin Aufsichtsratschef) gegen den Trainer, Manager etc. Magath aufbegehren. Freimütig erzählte "Quälix" der Journalistenmeute, dass der Einschüchterungsfaktor selbstverständlich ein Auswahlkriterium sei, wenn es einen Posten zu besetzen gebe, auf dem es wesentlich auf Einschüchterung ankommt. Unter dem Damoklesschwert eines ukrainischen linken Hakens kommt Kritik eben nicht so leicht über die Lippen.
Vielleicht wird sich Felix Magath mögliche Gegenspieler im Verein künftig auf diese Weise vom Hals halten. Vielleicht wird er auch irgendwann mit einem Paukenschlag seinen Job verlieren. Wunderlicher als die Wintertransfers ist jedenfalls die Zurückhaltung des früheren Plappermauls Clemens Tönnies. Es gab Zeiten, da wurde bei den Gelsenkirchenern kein Liftboy eingestellt, ohne dass der Aufsichtsratsvorsitzende seinen Senf dazu gab, sei es nun zustimmender oder quertreibender Mostrich. Aufrecht, mit stolz geschwollener Brust und den Blick andächtig in die Dachkonstruktion der Arena gerichtet pflegt er vor den Spielen das Schalker Lied mitzuschmettern. Der Mann lebt und atmet Schalke. Sein wichtigster Ansprechpartner im Verein, der Strippenzieher und starke Mann, hat von Beginn an klargemacht, dass er kein Schalke-Fan ist. Er macht seinen Job ohne Leidenschaft, ohne in die Ketten des Schalker Lokalkolorits gelegt zu sein. Anfänglich schien genau das der Vorteil Magaths zu sein. Er schien derjenige zu sein, der endlich einmal aufräumt und diesen ganzen lästigen Klüngel auf Schalke wegwischt, seriöse Strukturen schafft und aus der Seifenoper eine nüchterne Dokumentation macht. Magath ist vielleicht auf einem guten Weg, das zu schaffen, er hat dem Verein allerdings seine Identität geraubt. Die Fans erkennen ihren FC Schalke nicht mehr wieder, ihren Verein, in dem Spieler früher eher nach Treue als nach fußballerischer Qualität beurteilt wurden. Aus dem FC Schalke kann kein FC Bayern oder VfL Wolfsburg werden. Klar wollen alle einmal die Schale in den Händen halten, aber dann doch bitte mit Schalker Mitteln, nämlich von Malochern abgelieferter Schwerstarbeit. Magath konnte seine Transfers und die Zusammenstellung des Kaders im Erfolg einem murrenden Publikum verkaufen. Im Misserfolg werden ihm die Einkäufe um die Ohren gehauen. 
Fernab aller Sentimentalitäten kann Magath ziemlich konkret vorgeworfen werden, dass er kein funktionierendes Mittelfeld auf die Beine stellt. Nach dem Abgang von Rakitic fehlt jegliche Kreativität. Jurado könnte die liefern, er kann aber nicht gleichzeitig eine "Sechs" geben und fällt daher im System durch den Rost. Auf dem Flügel ist er wirksam wie eine Aspirin bei Durchfall und hatte trotzdem noch die größte Chance in Dortmund. Per Kluge und der unfassbar kleine Neffe von Kofi Annan geben dem Spiel keine Impulse und Jefferson Farfan wird vermutlich nicht mehr ganz bei der Sache sein. Ein guter Vorlagengeber war er ohnehin noch nie. Der prächtig besetzte Sturm hängt also völlig in der Luft, und das kann niemanden überraschen. Der Abwehr muss man lassen, dass sie sich gefangen hat. Christoph Metzelder spielt solide und Benedikt Höwedes wächst an seinen Aufgaben. Gänzlich unbeliebt beim Anhang ist der Japaner Uchida. Generiert er auch noch so viele Einnahmequellen in Fernost, ist er andererseits ein gutes Beispiel für einen auf Schalke nicht vertretbaren Transfer.
Der Verteidigerposten ist auf Schalke stets rustikal erfüllt worden, sei es von Eigenrauch, Büskens, van Hoogdalem, de Kock, Latal, Waldoch, Hajto, Linke und später von Kristajic, Westermann und dem bisweilen sehr unbrasilianisch und flegelhaft auftretenden Bordon (um nur die zu nennen, die ich in meinen jungen Jahren noch mitbekommen habe. Pele weiß Wunderdinge über Willi Schulz zu erzählen.). Christoph Metzelder wirkt da schon sehr schöngeistig, Rafinha wurde so gerade akzeptiert, aber Uchida, genannt "Uschi", wird als Verteidiger erst gar nicht ernst genommen. Magath hätte auf einem solchem Posten dem Löwen einen Fleischbrocken hinwerfen können. Ein Spieler der Marke Hollerbach hätte den Mob über manch anderen Transfer hinweggetröstet. Ein Jiri Nemec für das defensive Mittelfeld scheint in Peer Kluge teilweise gefunden, auch wenn Kluge noch einiges der Klasse und Leidensfähigkeit des Tschechen fehlt. Magath verwies in den vergangenen Tagen gern darauf, wie viele Spieler aus der eigenen Jugend zur Mannschaft gestoßen sind, nur bringt das nicht viel, wenn sie auf der falschen Position verheizt (Matip), noch nicht reif für das obere Tabellendrittel (Moritz, Draxler) oder einfach nur Mitläufer (Schmitz) sind. Eigengewächse taugen nicht immer zur Identifikationsfigur. Der "echteste" Schalker ist im Augenblick augerechnet der größte Star. Raul hat das sportlich und meteorologisch sonnige Madrid gegen den Pott eingetauscht und hängt sich rein, als sei er im Bergwerk zur Welt gekommen. Seine Einstellung schafft Identifikation. Würde jeder Schalker, und es ist Magaths Aufgabe dafür zu sorgen, diese Laufbereitschaft an den Tag legen, würden auch Niederlagen akzeptiert.
Karimi und Charisteas sind der Diskussion überhaupt nicht wert. Und spätestens bei diesen Transfers habe ich auf das Donnerwetter von Tönnies gewartet. Aber nichts tat sich. Das lässt nur drei Schlüsse zu. Erstens, Tönnies ist nach wie vor von Magath überzeugt und findet es gut, dass der klamme Verein ehemaligen Fußballern ein gut bezahltes Reservistendasein ermöglicht. Es ist die unwahrscheinlichste Variante. Zweitens könnte Magath eine so mächtige Position im Verein haben bzw. eine so gepfefferte Abfindung kassieren, dass Tönnies ihn praktisch nicht rausschmeißen kann. Und das müsste er, wenn er den Kurs korrigieren will, denn es ist schwer vorstellbar, dass Magath sich reinreden lässt. Drittens könnte es schließlich auf eine Trennung im Sommer hinauslaufen. Vielleicht sammelt Tönnies in aller Ruhe Munition um den Zampano nach Saisonende abzuschießen und zusammen mit Horst Heldt, dem die Situation auch nicht schmecken kann, das Ruder zu übernehmen. Matthias Sammer ist noch zu haben. Nur, wer erklärt die Maßnahme dem Klitschko?

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