Donnerstag, 20. Januar 2011

Gegen den modernen Fußball?

Eigentlich hätten die Pauli-Fans im Sommer tiefe Trauer tragen müssen. Oder sie sind sehr naiv. Ihr Club ist in die Bundesliga aufgestiegen und eigentlich hätte doch allen klar sein müssen, wie die Geschichte ausgeht. Das Stadion wurde ohnehin modernisiert, die Logen, die am Millerntor Separees heißen, waren lange geplant. Dass der Verein in der Bundesliga Einnahmequellen generieren muss, auch das kann im vergangenen April keine spektakuläre Prophezeiung gewesen sein. Es war eher eine logische Konsequenz, die auch nach sieben oder acht Astra noch einleuchtet. Dennoch tobt jetzt der Aufstand. Gegen LED-Wände im Stadion, gegen strippende Frauen in den Separees (also Logen), gegen Business-Seats auf der bald fertigen Haupttribüne und dergleichen mehr.
Zuschauer des FC Bayern, die Woche für Woche in einem weißen Cape ein überdimensionales Telekom-T auf die Tribüne zaubern müssen, können über diesen Grad der Kommerzialisierung natürlich nur müde lächeln. Naiv wäre aber auch der, der nicht vorhergesehen hat, dass sich die neuerlich aufflammende Debatte über die Fanfreundlichkeit des modernen Fußballs gerade am Kiezclub entzündet. Hier schien die Zeit stehen geblieben. Der Stadionname etwa könnte niemals verkauft werden. Ein Duisburger, der am Samstag-Mittag zu seinem MSV in die Schauinsland-Reisen-Arena geht, erkennt den Luxus, den sich der Club aus Hamburg da leistet. Pauli lässt auch nicht jeden Eckball von einem Versicherungskonzern präsentieren und hat lange darauf geachtet, dass der Sponsorenpool den Anforderungen eines linksgerichteten Publikums entspricht. Das klingt alles extrem sympathisch, aber ist das auch sinnvoll?
Beim Besuch in einer modernen Mehrzweckarena, wie sich die Stadien ja heutzutage schimpfen, kommen jedem Fan, der auch vor 15 Jahren schon einmal in einem Stadion war, wehmütig-nostalgische Gedanken an die "gute, alte Zeit". Ich kann mich noch an Besuche im Rheinstadion erinnern. Die Laufbahn schien unverhältnismäßig breit in diesem Stadion, es war zugig und im Winter wurde es bitterkalt. Es gab eine Art Currywurst, die aus einzelnen Wurstscheiben bestand, die in Tomatensuppe schwammen. Wir aßen die Wurststücke heraus und die Suppe ging fliegen. Lecker war das auch nicht, aber ich treffe immer wieder Anhänger, die angesichts der Arena-Catering-Standardwurst an diese Matsche mit Wohlwollen zurückdenken. Diese kleine Anekdote verdeutlicht, dass es oft die kleinen Nebensächlichkeiten sind, die den Fans aufstoßen. Der Geruch eines echten Grillstands zum Beispiel ist in Stadien der unteren Ligen ein Erlebnis, als rieche man das Parfum einer kürzlich verflossenen Geliebten. Sicherheitsmaßnahmen und Wirtschaftlichkeit sind die Parameter, an denen sich die Fanverpflegung und -betreuung in der Bundesliga messen lassen müssen. Dieser Fakt lässt sich nicht umgehen. Ein Fußballverein muss möglichst viel Geld verdienen, um guten Fußball zu bieten, denn guter Fußball definiert sich letztlich nur über Erfolg.
Die Wahl, die die Fans nicht haben, besteht also zwischen Erfolg und Kulturverlust auf der einen und höchstwahrscheinlichem Misserfolg und echtem Fußball-Gefühl auf der anderen Seite. Doch ist das schönste Gefühl des Fans nicht, seine Mannschaft siegen zu sehen? Und denkt der Fan im Moment des Siegtreffers gegen Bayern München wirklich an den ganzen verfluchten Kommerz? Nein, er brüllt seine Freude heraus und stellt das Nörgeln zurück, denn in diesen Augenblicken kann keine Decke aus Werbepartnern, Familienblocks und Halbzeit-Shows so dick sein, dass sie den "echten" Fußball verdeckt. Klar war es lustig, in der Dritten Liga mit Fortuna nach Verl zu fahren, eine Schenke und einen Bierstand leerzutrinken und auf dem Dorfplatz die Auswechselspieler durch den Zaun zu verspotten. Es hat aber auch was, gegen den HSV DFB-Pokal zu spielen und um den Aufstieg in die Bundesliga zu kämpfen.
In der letzten Ausgabe der 11Freunde habe ich einen wahnwitzigen Artikel über die Ultras von Victoria Hamburg gelesen, die - frustriert vom Bundesliga-Spektakel - den beschaulichen Oberligisten aus der Hansestadt wie eine Heuschreckenplage heimgesucht haben. Die Rentner, die zuvor die einzigen Stammgäste bei den Spielen gewesen waren, staunten nicht schlecht, als es plötzlich Fangesänge und Fahnen gab. Diese letzten Verfechter des wahren Fußballs sind längst zu einem seiner Auswüchse geworden. Ein großer Schritt zurück zum alten Erlebnis wäre schon die Abschaffung von Megaphonen und Choreographien und eine Rückkehr zum spontanen Gesang, der manchmal nur von 20, manchmal aber auch vom ganzen Stadion aufgenommen wird. Solange die Fernsehsender durch tolle Aufnahmen der faschistoid organisierten Kurven den Zuschauern eine tolle Stadion-Stimmung vermitteln können, sind die Ultras die effektivsten Handlanger der Geldmaschinerie Bundesliga. Wer also dem Kommerz abschwören will muss mit Erfolglosigkeit und Nichtbeachtung leben, dann aber den Weg auch konsequent gehen und den Hokuspokus nicht mitmachen. Vielleicht sollten wir aber auch den Dingen ihren Lauf lassen und uns einfach am Siegtor gegen Bayern München erfreuen.

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