Freitag, 31. Dezember 2010

Hinrunde

Von den Mainzern spricht im Moment schon niemand mehr. Das ist erstaunlich, denn sie sind immerhin Zweiter der Bundesliga. Hätte uns das vor etwa fünf Monaten jemand vorausgesagt, wäre das durchaus ein Thema gewesen. Fußball-Deutschland zeigt sich enttäuscht, hatte man den Emporkömmlingen doch schon die Meisterschaft zugetraut. Und jetzt kam die Durststrecke, die jeder vorausgesagt hatte, die aber niemand haben will, wenn sie dann eintritt. Vergessen wird über das allgemeine "Das musste ja irgendwann so kommen"-Gefühl aber, dass die Mainzer trotz einiger Niederlagen immer noch oben stehen, und dass die Leverkusener den zweiten Platz, den sie zwischenzeitlich schon erobert hatten, nicht gegen den weitaus schlechter besetzten Konkurrenten verteidigen konnten. Die Leverkusener haben vorgeführt, dass sich die Bayern bei ihrer Aufholjagd auf die im Grunde nicht mehr einzuholenden Dortmunder nicht unbedingt nur auf eine Schwächephase des BVB verlassen können. Die Werkself nahm sich zum rechten Zeitpunkt eben auch eine kleine Auszeit, und so war die Chance wieder dahin. Leverkusen wird, das dürfte niemanden überraschen, nicht deutscher Meister und sie werden sich in dieser verrückten Saison selbst beim Überholmanöver gegen Mainz schwertun.
Ärger droht zudem durch die Rückkehr von Michael Ballack. Ich bin der letzte, der in alles immer einen Konflikt hineinredet, aber die Frage, ob für den als Platzhirsch verpflichteten Ballack Arturo Vidal oder Simon Rolfes weichen muss, dürfte Jupp Heynckes beschäftigen. Als Flügelflitzer wird er den Nationalmannschaftskapitän jedenfalls nicht aufbieten.

Hannover 96 ist noch immer die große Unbekannte der Liga. Sie sind Vierter, aber niemand weiß so recht warum. Mirko Slomka erzählt nichts von Matchplänen wie sein Kollege Thomas Tuchel in Mainz. Die Spieler haben sich auch keinen besonderen Torjubel einfallen lassen. Und Karneval gibt's auf den Rängen des Niedersachsenstadions schon mal gar nicht. Da Hannover aber ganz passabel Fußball spielt, sind sie ein schönes Beispiel dafür, dass nackter sportlicher Erfolg ohne eine schöne Verpackung heutzutage nicht mehr so recht wahrgenommen wird. Man stelle sich vor, Mirko Slomka würde sein Wirken mit einer Philosophie, einer neuen Idee, die er sich bei Arsene Wenger abgeschaut hat, beschreiben. Dann läge ihm die Fachwelt zu füßen. Er macht es aber nicht, wirkt daher nicht so interessant, weil er seit Jahren das gleiche erzählt und verliert seine Minuten in der Öffentlichkeit an die philosophische Riege aus dem Rhein-Main-Gebiet. Es wäre geradezu erfrischend, wenn am Ende der Inbegriff der grauen Maus in die Europa-League stürmt. Das würde mehr Romantik in diesen Sport zurückkehren lassen als jede Protestaktion gegen den so genannten modernen Fußball.
Was für Hannover und Mainz gilt, kann zum Teil auch auf Freiburg, die dritte große Überraschung übertragen werden. Auch im Breisgau ist der Erfolg inzwischen planbar geworden und steht nicht auf so wackligen Füßen, wie es sich die etablierten Clubs gerne erhoffen. Auch Freiburg versteckt sich ein wenig hinter der Spaßtruppe aus Mainz und genießt es sichtlich, dass die Bäume trotz Platz sechs zu Weihnachten nicht in den Himmel wachsen. Das wäre auch neu für diesen Club, der die Prägung, die Volker Finke dem Verein einst verlieh, mit jüngerem Personal fortführte und der schon lange gelebten Philosophie damit neues Leben einhauchte. Freiburg hat gute Chancen sich im Mittelfeld festzusetzen.
Die gleiche Prognose gilt für den FC Bayern, nur werden die mit einem Saisonabschluss in der Graue-Mäuse-Zone freilich nicht viel anfangen können. Nach der Niederlage des BVB in Frankfurt beschwören sie die Schwäche des Gegners und "glauben" sogar noch an die Meisterschaft. Einziger Pluspunkt der Bayern in der Rückrunde ist, dass alle Top-Clubs noch in die Allianz-Arena müssen. Schlagen die Bayern dort die Dortmunder, Leverkusener und Schalker können sie sich das nötige Selbstvertrauen für die Auswärtsspiele holen. Realistisch ist das alles nicht, aber die Bayern jetzt schon abschreiben? Nein, da sind wir Fans anders programmiert. Die Dortmunder sollten hingegen nicht zu lange über Frankfurt nachdenken und die Gunst der Stunde nutzen, noch einmal auf dem Transfermarkt zuzuschlagen. Es gibt sicher einige Spieler, die sich inzwischen vorstellen könnten, einen Vertrag bei den Schwarz-Gelben zu unterschreiben. Wenn Zorc und Klopp es schaffen, ihr Team noch weiter zu verstärken, ist ihnen der Titel auch im Falle einiger Verletzungen nicht mehr zu nehmen.
Da Frankfurt und Hoffenheim trotz Gekas und der sich anbahnenden Transfer-Posse um Miro Klose und Luiz Gustavo einfach nur zum Gähnen sind, wende ich mich gerne Schalke und dem HSV zu. Beide sind sie mit großen Erwartungen gestartet. In Hamburg hatte das Sturmpersonal aus den Niederlanden in Armin Veh schon den neuen Sir Alex Ferguson erkannt. Nach jüngsten Andeutungen Vehs, sich spätestens im Sommer nach einer ganz neuen Tätigkeit umzuschauen, ist allerdings zu bezweifeln, ob die Pflichtspiele Vehs als Trainer der Hanseaten wie beim bemühten Vergleichstrainer aus Manchester ebenfalls in die Tausende gehen werden. Der HSV sollte den Ruf als Trainerschleuder akzeptieren und handeln, wie er es immer tat: Veh feuern und mit einem neuen Mann ins neue Jahr gehen.
Das ist auf Schalke kein Thema, weil Felix Magath es geschafft hat, der Söldnertruppe Konturen zu geben. Nach der Winterpause werden die Königsblauen einen weiteren Schritt nach vorne machen. Dann hat das Weihnachtsfest einen Schleier über die pädagogisch leicht angestaubten Maßnahmen von Magath gelegt und der Trainer hat sich von unnötigem Ballast gelöst (Jones, Baumjohann etc.). Legt man die Kurven des HSV und des FC Schalke zum Saisonende übereinander, werden sie nach aktueller Lage wohl entgegengesetzt verlaufen. Nürnberg und Lautern werden sich an einer ruhigen Rückrunde laben können, Wolfsburg führt dagegen die Kellerkinder an. Dass Wolfsburg und Bremen tatsächlich noch in Abstiegsnöte geraten, ist schwer vorstellbar. Wenn man sich aber mal hier in Berlin zu dieser Einstellung ein paar Meinungen einholt, wird der Blick auf den Ernst der Lage schon geschärft. Köln wirkt stabilisiert und hat sich für FC-Verhältnisse unfassbar sachliches Personal in der sportlichen Führung zugelegt. Pauli kämpft wie eine Löwenherde und Stuttgart wird trotz Labbadia noch Punkte holen. Bevor also der Rechenschieber befragt wird, wie noch der Europapokalplatz erreicht werden kann, sollte ein starkes Polster den Blick nach unten unnötig machen.
Unten wird wohl Mönchengladbach bleiben. Nur Marco Reus ist auf Dauer keine Versicherung und das Verletzungspech in der Defensive ist ja schon biblisch. Bamba Anderson erreicht nicht annähernd seine Vorjahresform und so dümpelt die Borussia ohne Heimsieg auf dem letzten Platz. Vielleicht ist's ja ein Trost. Fortuna Düsseldorf wird vielleicht doch nicht aufsteigen, es wird also auch in Liga Zwei rassige Derbys geben.

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