Dienstag, 10. November 2009

Die unvollständige Karriere

Robert Enke hat sich nie beschwert. Er hatte auch lange Jahre seines Lebens kaum Grund dazu. Es ging immer nur bergauf. Bis zu diesem Tag in Istanbul, an dem er, gerade vom großen FC Barcelona an Daums Fenerbahce ausgeliehen, von den eigenen Fans bei seinem ersten Auftritt für den neuen Club mit Flaschen beworfen wurde.
»Viele haben gesagt, der Enke hat sie nicht mehr alle, und klar, wenn man es nüchtern betrachtet, kann man es so sehen«, sagte er später. »Aber ich war dort so unglücklich. Ich hätte in Istanbul nie gut gespielt.« Robert Enke hatte seinen Vertrag nach diesem Spiel aufgelöst, war für ein halbes Jahr für keinen Club spielberechtigt. Es war einer dieser Wendepunkte in seinem Leben, es sollte nicht der letzte sein. Es war gleichzeitig der sportliche Tiefpunkt seiner Karriere, auf den zuvor nichts hingedeutet hatte. In Jena als Spross einer Sportlerfamilie geboren und aufgewachsen, wagte er 1996 gerade noch 18-jährig den Sprung zu Borussia Mönchengladbach. Er setzte sich in drei Jahren auf dem Bökelberg durch, war 1999 unglaublicherweise trotz 79 Gegentoren einer der wenigen Gewinner in einer trostlosen Abstiegssaison. Er wurde Teilnehmer des denkwürdigen Confederation-Cups in Mexiko unter Erich Ribbeck und wechselte anschließend zu Benfica Lissabon, zum Trainer Jupp Heynckes, der noch den Glanz des relativ frischen Champions League-Siegs mit Real spazieren trug. Auch 1860 München wollte ihn haben. "Die Leute haben gesagt, der Enke ist geldgierig, weil ich nach Lissabon statt zu 1860 bin, und natürlich hatte der Wechsel viel mit Geld zu tun. Damals habe ich gemacht, was alle im Fußball machen: das beste Angebot genommen." Enke wagte den Schritt ins Ausland und geriet wie viele seiner Vorgänger aus dem engen Blickfeld des Bundestrainers. Er brachte starke Leistungen in Portugal und wurde Mannschaftskapitän einer ansonsten mittelmäßigen Mannschaft. Er war immer noch der Senkrechtstarter. Mit nicht einmal 25 Jahren ging er den nächsten Schritt, zum FC Barcelona, dem vielleicht großartigsten Club der Welt. In der katalanischen Metropole wird er sich zum ersten Mal nicht durchsetzen, er wurde an Fenerbahce ausgeliehen und es ereignete sich die Geschichte mit den Flaschenwürfen und dem aufgelösten Vertrag. Robert Enke hatte damals Angst, menschlich zu zerbrechen, hatte Angst vor dem Fanatismus, der ihm entgegenschlug. Das war nicht seine Welt. Er zog die Arbeitslosigkeit und die mühsame Rehabilitierung in Spaniens zweiter Liga, auf der Sonneninsel Teneriffa, vor. Gute Leistungen brachten ihn wieder ins Gespräch und Hannover 96 schlug 2004 zu. Enke verließ die Sonnenseite des Kontinents und zog nach Niedersachsen. Nicht in ein Hotel, eine umzäunte, mondäne Villa oder ein Penthouse, sondern in ein Fachwerkhaus, in dem er mit neun Hunden, zwei Katzen und einem Pferd lebte. Und seiner Familie. Seiner Frau und seiner kleinen herzkranken Tochter. Er engagierte sich für den Tierschutz und lebte zeitweise zusammen mit dem Künstler Jacques Gassmann, hatte Kontakt zu Lyrikern. Er war kein typischer Profi und schien in Hannover in sich zu ruhen, nach der Odyssee, die spätestens in Istanbul begonnen hatte. Im Sommer 2006, als sich ganz Deutschland schwarz-rot-geil in den Armen lag, hielt er sich im eigenen Garten fit. Jürgen Klinsmann hatte ihn zu einem Spieler auf Abruf gemacht, zum Ersatz, falls Lehmann und Kahn unpässlich wären. Enke nahm die Nicht-Nominierung locker, er genoss die Zeit mit seiner Tochter. „Es gibt nun etwas, was immer wichtiger als alles ist: Laras Leben. Deshalb kannst du dich weniger über gute Spiele freuen, aber eben auch weniger über schlechte ärgern.“ sagte er damals der Süddeutschen Zeitung, die ihn daheim besuchte. Wenige Monate später starb seine Tochter. Sein Privatleben lag fortan im Dunkeln, seine sportliche Karriere erstreckte sich nach der Europameisterschaft 2008, in der noch einmal Jens Lehmann sein letztes Gefecht geschenkt bekam, aber endgültig auf die Nationalmannschaft. Er gilt als der aussichtsreichste Kandidat, wegen seiner Erfahrung. Rene Adler war der feschere Kandidat, ihm flogen die Herzen zu. Robert Enke war Hannover, Mittelmaß, war eben nicht Europapokal. Er blieb den 96ern treu, ging nicht zu Hamburg, als die ihn wollten, und auch nicht zum FC Bayern. Von Journalisten gedrängt bekannte Enke einmal zur WM in Südafrika:"Wenn Sie das schreiben wollen, bitte. Es ist mein Traum, ja." Fast hätte er diesen Traum, der ihm so aus der Nase gezogen werden musste, auch in Hannover verwirklicht, wären da nicht die gesundheitlichen Rückschläge gewesen. Handbruch Ende 2008, rätselhafte Erkrankung mit Namen Campoylobacter-Infektion im Spätsommer 2009. Die entscheidenden Spiele im Tor der Nationalmannschaft bestritt Adler, rettete das Team zwei mal gegen Russland, während Robert Enke meist in Freundschaftsspielen und gegen unterklassige Quali-Gegner den Laden zusammenhalten musste. Nur acht Länderspiele bestritt einer der besten Torhüter der vergangenen Jahre. Seine Karriere blieb unvollständig, abgebrochen. Gefragt, was er als Journalist besser machen würde, sagte Robert Enke einmal: "Ich würde immer versuchen, die Spieler richtig zu zitieren." Hoffen wir, dass er in den kommenden Tagen richtig zitiert, vor allem aber richtig interpretiert wird.

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