Freitag, 6. November 2009

Die Bilanz des Uli H.

Manchmal verpassen die so genannten "Verantwortlichen" im Fußball den besten Moment ihres Rückzugs aus dem Tagesgeschäft oder einem konkreten Job um Jahre. Berti Vogts hätte zum Beispiel 1996 als Europameister seinen Hut nehmen sollen und wäre noch heute ein Volksheld. Statt dessen wurde er zwei Jahre später nach der ominösen Malta-Reise in Schimpf und Schande aus der DFB-Zentrale gejagt, selbst Christoph Daum umgab in diesen Tagen die Aura eines Messias, und das sogar außerhalb des Kölner Stadtgebiets. Vogts ist heute einer der Trainer, die um die Welt tingeln und überall "wertvolle Aufbauarbeit" leisten und steht damit etwa in einer Reihe mit Rainer Zobel, Rudi Gutendorf und Bernd Stange, wobei sich letzterer nie ganz von der DDR lösen konnte und bevorzugt für totalitäre Regime den Staatstrainer gibt.
Auch Winfried Schäfer hat seinen Abgang um unbestimmte Zeit, mindestens aber um zwei Jahre verpasst, ließ sich für das Projekt "KSC 2000" vor den Karren spannen und fristet nun ein ähnliches Dasein wie seine gerade genannten Kollegen. Dieses Phänomen gibt es nicht nur bei Trainern, auch Aktive erliegen manchmal dem Lockruf der Sirenen, doch noch ein Jahr dran zu hängen. Der Spieler hört dann in sich hinein und hört meistens den Körper sagen: "Ich bin fit. Es reicht noch für locker 70 Minuten. Mit Deiner Erfahrung machst Du eh viel durch Stellungsspiel wett!" Der Spieler hört leider oft auf die Versprechen seines Körpers, prominentestes Beispiel ist Lothar Matthäus, den am Ende keiner mehr sehen konnte. Und auch Manager verpassen manchmal den Moment, in dem sie noch mit heiler Haut aus ihrem Vertrag kommen und sie mit ehrlicher Betroffenheit verabschiedet werden.

Uli Hoeneß läuft Gefahr, seinen Abgang ganz kanpp, nur um ein halbes Jahr zu verpassen. Was wird das für ein Abgang im Winter, als Bundesliga-Fünfter, raus aus der Champions League und mit einem Trainer, der in seiner Außendarstellung selbst Fred Rutten in den Schatten stellt? Wie konnte es so weit kommen, dass der einstige Sonnenkönig der Bundesliga plötzlich von der Bild-Zeitung vorgeführt wird, die ihm generös vorrechnet, wie er sein Geld im Sommer besser hätte ausgeben können?

Es gibt schon ein paar Punkte, die den Abstieg Hoeneß' in der Gunst des Publikums vom Verdacht, es handle sich bloß um eine Laune der Fans, befreien. Uli Hoeneß war immer dann der unangefochtene Manager, wenn er einen unangefochtenen Trainer an seiner Seite hatte. Wankten die Trainer, wankte er auf eigentümliche Art direkt mit. Das hängt mit Hoeneß' nicht gerade stark ausgeprägtem Gefühl für Zurückhaltung zum richtigen Zeitpunkt zusammen. Der Trainer des FC Bayern ist nach Hoeneß-Doktrin immer der beste Trainer der Welt. Diese Haltung hat er nur für Jürgen Klinsmann unterbrochen, aber da war ohnehin kein Raum für Lobpreisungen. Wenn der Manager derart offensiv die Fähigkeiten seines leitenden Angestellten für die Mannschaft hervorhebt, wird im Fall des Scheiterns natürlich auch der Manager hinterfragt. Kein Wunder also, dass Hoeneß seine stärkste Zeit an der Seite Ottmar Hitzfelds hatte, als Meisterschaften und der Sieg der Champions League gefeiert wurden. Gleich in zweierlei Hinsicht kratzt die Episode Felix Magath am Image des Managers, und das auf ganz paradoxe Art und Weise. Magath war erfolgreich, aber nur national. Das genügte den Ansprüchen damals nicht. Es ist außerdem zu vermuten, dass Magath, wie sein weiterer Werdegang zeigt, auch an Kompetenzfeldern der heiligen drei Könige von der Säbener Straße, Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer, interessiert war. Das Dilemma ergab sich dann, weil Magath offiziell wegen Erfolglosigkeit gefeuert wurde, eigentlich aber Erfolg hatte, und vor allem danach wieder gute Arbeit vorweisen konnte, während die Bayern seit Magath in der Trainerfrage nur noch umhergeeiert sind, mit dem Gipfel der völlig ideenlosen Reaktivierung von Hitzfeld und Heynckes. Die Emission von Magath war der erste Riss im Fresko, dass Hoeneß sich so mühsam gemeißelt hatte.

Die unorthodoxe Politik auf der Trainerbank findet ihren großen Bruder in der Transferpolitik. Uli Hoeneß wurde immer dafür gehasst, dass er die Bundesliga leerkauft, um die eigene Machtposition abzusichern. Viele dieser Transfers waren sinnlos und dienten tatsächlich nur der Schwächung des Gegners. Andererseits hat diese Methode der Sichtung des deutschen Marktes aber auch Giovane Elber, Stefan Effenberg, Mario Basler, Markus Babbel, Hasan Salihamidzic etc. etc. an die Isar geführt, alles verdiente Spieler mit internationalen Erfolgen. Seit einigen Jahren macht Hoeneß allerdings immer die gleichen Fehler. Die Abwehr ist ein Torso. Auf das Duo Badstuber und van Buyten würde kein anderer Top-Club setzen. Lucio zu verkaufen war richtig, aber dafür hätte Ersatz hergemusst. Lahm spielt auf der falschen Seite, weil es außer ihm keinen Außenverteidiger von Format gibt. Hier hätte Geld ausgegeben werden müssen. Die Bild schlägt heute Dario Srna und Rafinha vor, das wäre ein Anfang gewesen. Hans-Jörg Butt im Tor ist die nächste Bakrotterklärung. Klinsmann durfte keinen neuen Torwart holen, Louis van Gaal wahrscheinlich auch nicht. Michael Rensing wurde total überschätzt, die Chance, Enke frühzeitig in Hannover loszueisen, vertan. Der Nationaltorwart steht jetzt vor einer Verlängerung bei den Niedersachsen. Die Verpflichtung von Rene Adler oder Manuel Neuer wird verdammt teuer. Den Bayern fehlt weiterhin immer noch ein Spielmacher. Diego war auf dem Markt, hat wohl schon mit den Bayern verhandelt. Ein Verkauf von Ribery, ein Verzicht auf Robben und sinnvolle Investitionen in die genannten Mannschaftsteile hätten Hoeneß Bild wieder erstrahlen lassen, er hätte im Winter beruhigt an Christian Nerlinger übergeben können.

Neben diesen ziemlich konkreten Fehlern schleppt Uli Hoeneß seit einigen Jahren auch ein latent vorhandenes Glaubwürdigkeitsproblem mit sich herum. Er hat seine Festgeld-Politik, zu der es, wie auch zu seinen Trainern, nach eigener Aussage keine Alternative gab, weitgehend aufegegeben. In der Zeit der Galaktischen in Madrid, der Zeit, in der Abramowitsch Chelsea übernommen hat und die Premier League zum Spielball der Investoren wurde, stellte sich Hoeneß in den Sturm des Kapitalismus und warb für korrekte, urdeutsche Buchführung. Mittlerweile hat er fast die Hälfte seines Unternehmens verkauft, Ablösesummen in astronomischer Höhe bezahlt und alles mit einem Ausraster gegen die Fans aus der Kurve angerichtet. Er tut sich schwer, die neue Politik in Konkurrenz zum ewigen Sprachrohr Franz Beckenbauer zu vertreten, bei dessen populistischen Einwürfen die Fans sich in der Regel wohler fühlen. So fragt sich ob des neuen Gebahrens des FC Bayern der Anhänger nicht ganz zu Unrecht: "Muss das alles sein?" Der Fairness halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass Mario Gomez auch hätte einschlagen können und Robben sich nicht hätte verletzen müssen. Aber so sind die Gesetze, keiner kennt sie besser als Hoeneß.

Bleibt noch das ungeschickte Modell des Rückzugs auf Raten. Die neue Arena ist sicher als wesentlicher Bestandteil des Lebenswerks des scheidenden Managers anzusehen. Sie ist modern, würde mit etwas engagierteren Fans eine tolle Stimmung schaffen und verfügt über eine stattliche Ehrentribüne, wie man das früher nannte, die vor allem das Konto der Bayern füllt. Seit Beginn der Saison sitzt Hoeneß auf eben dieser Tribüne und wirkt wie ein Fremder in der Welt, die er selbst geschaffen hat. Er ist der einzige, der bei Toren aufspringt, der einzige der laut ruft, hadert, den Fußball mitlebt. Rummenigge und Hopfner wirken neben ihm seltsam distanziert. Hoeneß kann nicht mehr Hoeneß sein, er ist vom Krawallmacher entgültig zum Mitglied des Establishments geworden. Wenn er jetzt schimpft, dann schimpft er als kommender ehemaliger Manager und lädt seinem Nachfolger unnötige Lasten auf. Sein Nachfolger muss eh damit leben, dass sein Vorgänger im Aufsichtsrat sitzt und vielleicht doch noch einmal wiederkommt. All diese Unwägbarkeiten runden das Bild der letzten Jahre des Managers Uli Hoeneß ab. Fast entsteht der Verdacht, dass es ihm nach dem Champions League-Sieg 2001 und dem anschließenden Bau der Arena nur noch auf die Verwaltung seines Lebenswerks ankam. Für den Umbruch, der hätte stattfinden müssen, war er der falsche Mann. Wenigstens diejenigen, die sich leidenschaftlich über Hoeneß' Äußerungen aufregen können, zu denen ich mich auch zähle, wünschen sich wahrscheinlich ein baldiges Comeback. Nach Oliver Kahn geht die andere Figur, die Fußball-Deutschland in Bayern-Fans und den Rest der Welt gespalten hat. Sie hätte nur vielleicht mit Kahn gehen sollen.

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