Montag, 19. Oktober 2009

Visionsloses Mittelmaß

Kicker-Online verpasste dem Zustand bei Hertha BSC (und dem VfB Stuttgart) das Etikett "Untergangsstimmung", und wenn sich das von Rainer Holzschuh stets eher mit ruhiger Hand geführte Fachblatt schon zu Superlativen hinreißen lässt, dann ist, in bestem Westerwelle-Deutsch formuliert, die Kacke am dampfen. Noch nicht einmal ein Drittel der Saison ist vorüber, nicht einmal der Winter ist so richtig erreicht. Die Spieler tragen, bis auf Hoffenheim, noch kurze Ärmel und nicht nur in München wird noch mit Recht darauf verwiesen, dass sich noch viel tun werde bis die Bundesliga ihren neuen Meister kürt und unsere Jungs nach Südafrika geschickt werden. Am 9. Spieltag der vergangenen Saison war der VfL Wolfsburg abgeschlagen Tabellen-Neunter. Warum also diese Abkanzelung der schlecht Gestarteten zu sicheren Abstiegskandidaten?
Die Berliner Presse spielt seit Wochen den Ball in den freien Raum. Erst heute waren wieder Statistiken zu lesen, die Herthas Start mit dem grotesken Bundesliga-Auftritt von Tasmania Berlin in den Sechzigern vergleichen. Auch der punkteärmste Saisonstart seit Einführung der 3-Punkte-Regelung wird bemüht, um die aktuelle Krise möglichst monumental erscheinen zu lassen. Michael Preetz ist gänzlich abgetaucht, der Sportdirektor scheint die Kräfte des Marktes ihr freies Spiel entfalten zu lassen, sein neuer Trainer steht von seinem ersten Arbeitstag an voll im Wind. Diese Breitseite scheint Friedhelm Funkel zu verwirren, von einer schweren Aufgabe war vor Nürnberg die Rede, von einer noch schwereren fabuliert er jetzt.

Den ehemaligen Frankfurter als Trainer zu installieren ist der geballten Mutlosigkeit der neuen Hertha-Führung geschuldet. Funkel steht, das leugnen Manager, die einen Feuerwehrmann verpflichten, sonst wenigstens, für Abstiegskampf, dafür wurde er geholt. Der Mannschaft wurde damit das Signal gegeben, dass sie sich für den Rest der Saison auf den unteren Plätzen befinden wird. Kein Verantwortlicher hat auf den Tisch gehauen und gesagt, der neue Mann werde die Mannschaft auf dem schnellsten Weg da unten rausführen und in sicheren Gefilden etablieren, um dann einen Neuaufbau zu starten. So was wird doch sonst immer erzählt und es ist, wenn auch ein sehr floskelhafter Ausdruck von Hoffnung und Vertrauen in den neuen Mann. Preetz, Friedrich und weitere Wortführer des Hauptstadtclubs suhlen sich allerdings im Selbstmitleid des Existenzkampfes, sie ergeben sich in die Rolle eines Abstiegskandidaten, fühlen sich ohne äußeren und inneren Widerstand auf Augenhöhe mit Gladbach oder Nürnberg. Die Mannschaft hätte nach Favre einen Kick gebraucht. Sie hätte einen Trainer bekommen müssen, der nichts mit Abstiegskampf anfangen kann, der nach oben will und seinen Spielern das auch verklickern kann. Preetz hätte einen Trainer finden müssen, der einem Raffael, einem Ebert, einem Kacar, einem Friedrich und einem Cicero klar macht, dass sie gute Fußballer sind und das gefälligst auch zeigen sollen. Statt dessen haben sie jetzt Funkel, der nicht müde wird zu betonen, wie schwer doch alles für ihn ist und dass er sich das alles so nicht vorgestellt hatte. Funkel steht wie kein zweiter seiner Zunft für visionsloses Mittelmaß, für Klagen über fehlende wirtschaftliche Möglichkeiten und die phrasenhafte Würdigung solider Arbeit. Solch einen Mann in Berlin zu installieren bezeichnet die Sprache der oberflächlichen Theaterkritik als höchst spannend. Sein größter Bundesliga-Erfolg der letzten fünfzehn Jahre ist ein achter Platz mit dem MSV Duisburg im Jahr 1999. Der herausragende Erfolg hat ihn stets gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Dieser Trainer vermittelt keinem Team eine Trendwende, sondern nur den Rückschritt von Favres Taktik zu Funkels ehrlicher Arbeit.

Bei Computerspielen, in der der Zocker einen Bundesliga-Verein managen muss, gibt es häufig auch Interviews, denen man sich stellen muss. Dabei ist zwischen mehreren möglichen Antworten per Mausklick zu wählen, alle Alternativen sind, im Computerspiel verständlich, höchst einfallslose Floskeln, die eine bestimmte Richtung der Antwort überdeutlich machen. Funkel hat diese Phrasen wahrscheinlich geschrieben und benutzt sie auch selbst, wenn er erklärt, er werde "die Zügel anziehen", "den Kader auf den Prüfstand stellen", "herausfinden, wer für die Hertha die Ärmel hochkrempelt" und - und das darf nicht fehlen - "dabei vor keinem Namen zurückschrecken". Mehr ist dazu nicht zu sagen. Da erfahren wir doch lieber von Pal Dardai, dass es der Hertha in den vergangenen Monaten scheinbar selbst an elementaren Bedürfnissen des Lebens fehlte. "Wir müssen jetzt gut essen, gut schlafen und vor allem gut trainieren." Ja, wenn's nur das ist, das kann auch Funkel.

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