Montag, 21. September 2009

Der Mob

Fußballfans haben neben einer im Fußball immer seltener werdenden kritischen Presse die Aufgabe, ein Korrektiv zu den nicht immer an die Wurzeln des Spiels mit dem runden Leder denkenden Bossen der Wirtschaftsunternehmen, die die Clubs nun einmal geworden sind, zu bilden. Schauen wir zu Beginn der DFB-Pokal-Woche auf zwei extreme Beispiele, in denen Fan-Verhalten auf die eine oder andere Weise fatale Auswirkungen für den Verein haben könnte.


Beispiel Nr. 1: Die grenzdebilen Ultras von Hertha BSC. Ich war am vergangenen Donnerstag live dabei, als der in ganz Europa hochgeachtete FK Ventspils im Olympiastadion vorspielte und wurde Zeuge eines erstaunlichen Schauspiels. Ich hatte der Bezahlbarkeit wegen einen Platz in der Ostkurve, und schaffte es zum ersten Mal, in der Fankurve einer Heimmannschaft einen Sitzplatz zu ergattern. Die Hertha bot ein fürchterliches Spiel. Die Letten konterten geradlinig und die Berliner scheiterten Mal um Mal an einer im professionellen Fußball unfassbaren Abschlussschwäche und - man mag es kaum glauben - an ihrer Verspieltheit in der gegnerischen Hälfte. Drobny verletzte sich auch noch und der neue Hoffnungsträger, ein baumlanger Stürmer aus Kolumbien, gab einen ähnlich souveränen Einstand wie der schon wieder außer Gefecht gesetzte "König" Artur Wichniarek. Kurz und gut, es war für jeden, der es ein wenig mit diesem Verein hält, ein grausamer Abend. Dank der Richtlinien im Europa-Cup konnte der Frust nicht einmal mit großen Mengen Carlsberg runtergespült werden. Betrachtete man jetzt aber nur die eingefleischten Hertha Fans in der Mitte der Kurve, konnte der mit dem Rücken zum Spielfeld stehende Ordner (beneidenswert!) den Eindruck gewinnen, die Hertha führt mit mindestens vier zu null. Nicht einmal ein uninspiriertes "Wir woll'n Euch kämpfen seh'n!" kam den Fans über die Lippen. Es ist ja eine nachahmenswerte Tugend mancher Fangruppen (z. B. Union), die eigene Mannschaft niemals auszupfeifen. Aber man könnte in Situationen wie der am vergangenen Donnerstag und auch den Minuten nach dem Freiburg-Spiel einfach mal die Klappe halten. Die Fans sind es, denen die Mannschaft gegenübertreten muss, das gibt dem Publikum die Macht, die Mannschaft auch durch Kritik oder meinetwegen Missachtung zu motivieren. Wenn ich zu Hause gegen einen Aufsteiger eine Packung bekomme und anschließend in der Kurve mit Fähnchen und Trompeten gefeiert werde, als hätte ich gerade die Champions' League gewonnen, kann ich als Spieler auch den Realitätssinn verlieren und ein wesentlicher Faktor, der den Spielern richtig Beine machen kann, nämlich ein gellendes Pfeifkonzert, fällt weg. Einzig dieser unzusammenhängend sprechende Schweizer in der Kabine kann mich dann noch aus der Lethargie reißen. Und was ist ausgelassener Jubel in der Kurve in Zeiten wahrer Siege noch wert, wenn das Jubelprogramm auch in den dunkelsten Stunden unflexibel und wie eingeübt abgespult wird? Können Feste dann noch gebührend gefeiert werden?

Beispiel 2: Der Realitätsverlust. Christian Heidel war am Samstag geschockt. Der Manager des FSV Mainz 05 konnte nicht fassen, wie massiv die Fans des VfL Bochum auf die Barrikaden gingen. Warum eigentlich? Bochum hatte gerade gegen einen Konkurrenten im Abstiegskampf (Das werden die Mainzer noch!) verloren, doch so lange, bis die Niederlage besiegelt war, ließen sich die Fans gar nicht Zeit. Sie schwiegen schon zu Spielbeginn, ließen sich auch durch zwei Tore ihrer eigenen Mannschaft nicht aus dem Konzept bringen und setzten, nachdem das Spiel erneut und dieses Mal zu Ungunsten des VfL kippte, ihre Schmährufe gegen den Trainer mit einer gewissen Konsequenz fort. Thomas Ernst, der Sportdirektor des VfL und einer der wenigen Dopingsünder der Bundesligageschichte, machte gar keinen Hehl aus seiner Einschätzung der Lage, dass die Fans den Verein jetzt zum Handeln zwingen. Ernst hat sich am folgenden Tag mit der Entlassung Kollers sicher Zeit verschafft, langfristig hat er sich aber zur Marionette der Anhänger gemacht. Wenn die nämlich merken, dass sie nur ein paar Wochen massiv Front gegen einen Trainer machen müssen, damit der dann sein Amt verliert, wären sie ja einfältig, wenn sie ihre Macht künftig nicht nutzen würden. Die korrigierende Macht, die ich den Fans der Hertha oben gänzlich abgesprochen habe, nutzen die Bochumer konsequent aus. Ihr Gebahren ist aber nicht sehr intelligent, da nach Koller höchstens ein Slomka kommen kann und der macht aus einem Yahia auch keinen Zidane.

Die Fans können auch im Zeitalter von Sky und T-Home, von nutella-Boys und Millionen-Ablösen Vereine noch unter Druck setzen und die Verantwortlichen an das erinnern, was eigentlich ihr Geschäft ist, nämlich einem Fußball-Verein sportlichen Erfolg zu bringen. Das Beispiel Hertha zeigt, dass die Fans diese Karte ausspielen sollten, das Beispiel Bochum zeigt, dass sie dabei mit (Fußball-)Verstand vorgehen sollten. Dann ist auch das ganze Gejammere gegen den modernen, kommerziellen Fußball nicht nötig.

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