Dienstag, 29. September 2009

Abschied von der Zurückhaltung

Jetzt ist es also raus, Lucien Favre hat seine Mission bei Hertha nicht vollenden können. Zerknirscht gab sein Co-Trainer Harald Gämperle zu Protokoll, dass Favre der wahrscheinlich beste Taktiker gewesen sei, den Hertha je hatte, dass die Spieler ihn jedoch, so Gämperle sinngemäß, sabotiert hätten. Beide Erkenntnisse des Assistenten scheinen nicht aus der Luft gegriffen. Alle Fachleute haben der Hertha im vergangenen Jahr eine der besten taktischen Ausrichtungen der Liga attestiert. Da war vom "System Favre" die Rede, und statt den Hauptstadtclub ob seiner vielen knappen und selten mitreißenden Siege zu verdammen, jubilierte die Presse über die Disziplin der Hertha-Akteure. Vieles mag im Sog des kolossalen Scheiterns von Jürgen Klinsmann im selben Jahr positiv ausgesehen haben, was später doch wieder als einfallslos etikettiert wurde, aber die Liga und natürlich allen voran die Berliner Fans konnten sich für ihr Team und auch ihren Trainer begeistern.


Lucien Favre hatte es in seiner ersten Saison, in der bei der Hertha spielerisch nicht viel zusammenlief und vornehmlich hierzulande unbekannte Kicker aus Alpenrepubliken die Zukunft des Teams darstellen sollten, sehr schwer, seine Philosophie zu kommunizieren. Die Öffentlichkeit nahm einen schmalbrüstigen, vor der TV-Kamera oft fahrig wirkenden Bundesliga-Neuling wahr, der ohne seine enorme Reputation in der Schweiz und die Vorschuss-Lorbeeren des inzwischen geschassten Dieter Hoeneß wohl nach ein paar Wochen wieder hätte gehen müssen. Das wortkarge Auftreten des Schweizers sorgte immer wieder für Verwirrung, ob er nur der Sprache nicht mächtig sei, oder ob ihn vor der Kamera das Lampenfieber packte. Und wie trat dieser Wortakrobat vor seiner Mannschaft auf? Schnell hatte Favre den Ruf des stillen Taktikers, des Strategen inne, der Begriff "Fachidiot" klang allerdings nie ausdrücklich an.

Durch seine stille Art war er natürlich auch nie Darling der Medien, der feist auf der Ehrentribüne jubelnde Dieter Hoeneß vermochte durch herzhafte Sprüche nach den Spielen erste Erfolge vor allem sich selbst zuzuschreiben. Die dominante, Figuren wie Preetz, Favre und Gegenbauer einfach beiseite schiebende Außendarstellung des Bruders des Bayern-Managers mag einer der Gründe sein, warum eben diese den scheinbar allmächtigen Manager am Ende der vergangenen Saison gestürzt haben. Favre aber drängte sich auch auf dem Höhepunkt des Erfolgs, als im Mai 2009 selbst die Meisterschaft möglich war, nicht in den Vordergrund, ein Fehler in einer Stadt wie Berlin. Die Fans waren auch dem Trainer dankbar, auch ihn besangen sie in Sprechchören, auch ihm jubelten über 70.000 Zuschauer im ausverkauften Stadion zu. Die wahren Helden hießen aber Voronin, vor allem Pantelic und sogar Drobny.

Das war die vergangene Saison. Und in dieser Spielzeit? Es begann mit dem Sparzwang, der an sich anhand der erfolgreichen Vorsaison mit Europacup-Teilnahme und -Qualifikation sowie der hohen Zuschauerzahlen schon schwer vermittelbar ist. Weiterhin gingen genau die Spieler, welche die Fans ganz besonders ins Herz geschlossen hatten. Die Lücke konnte nicht geschlossen werden, reflexartig besangen die Zuschauer beim trostlosen Unentschieden gegen Ventspils Marko Pantelic. Voronin und der eigenwillige Serbe waren sich in den vergangenen Wochen auch nicht zu blöd, gleich mehrere Interviews zur Lage der Hertha zu geben, und zu Protokoll zu geben, wie leid es ihnen täte, wie die Hertha jetzt dasteht, aber dass es im Prinzip so kommen musste, weil die Berliner ja nicht mehr so tolle Hechte wie sie unter Vertrag habe. Pantelic sprach sogar davon, dass die Hertha mit ihm wieder um die Meisterschaft mitspielen würde. Bei so viel schlechtem Stil kann der Verein naturgemäß wenig Argumente für eine Demission der beiden Stürmer aufbringen und die Fans wissen, unterstützt durch die Darstellung in den Medien, woran es liegen muss, dass nichts mehr so läuft wie wenige Monate zuvor. Hoeneß ist weg, Pantelic ist weg, Voronin ist weg und der Erfolg, ja der ist auch weg - das ist die einfache Rechnung der Fans, die sich scheinbar auch die Mannschaft zu eigen gemacht hat. Dabei hat vor allem Hoeneß den horrenden Schuldenberg des Vereins zu verantworten und Pantelic und Voronin zusammen auch "nur" 18 Tore erzielt.

Zuletzt noch ein paar Worte zu Gämperles Vorwurf, die Spieler hätten nicht mehr mitgezogen. Das ist gut vorstellbar. Wenn die Mannschaft merkt, dass es nicht mehr läuft, dass mit dem Verein wegen finanzieller Probleme in absehbarer Zeit nichts mehr zu holen ist, dass der neue Manager nicht so durchsetzungsfähig ist wie der alte, kurz, wenn die so genannten Söldner im Team erkennen, dass sie nicht mehr auf dem richtigen Pferd sitzen, mündet das schnell in Arbeitsverweigerung. Weder Lucien Favre als Trainer, noch Arne Friedrich als Kapitän oder Michael Preetz als Manager schienen die Fähigkeit zu haben, auf den Tisch zu hauen. Es ist kein Wunder, dass der neue Trainer einer wie Matthäus sein soll. Ein Lautsprecher, einer, der nicht nur vor den Spielern, sondern auch in der Öffentlichkeit den starken Mann markieren kann. Vielleicht ist es genau das, was neben aller Taktikfuchserei die Hertha wieder auf Kurs bringen kann.

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