Samstag, 24. September 2011

Der Oenning-ist-nicht-mehr-da-Effekt

Eigentlich, ja eigentlich müsste Frank Arnesen die Spieler alle wegen ihrer zweifelhaften Einstellung zum Beruf rausschmeißen. So oder so ähnlich hätte der erste Reflex gestern nach dem ersten Saisonsieg des HSV in Stuttgart aussehen sollen. Die Frage ist, wer nun den größeren Anteil am Aufblühen der zuletzt so daherbaselnden Mannschaft von der Elbe hat, der alte, der neue oder der drohende Trainer.

Eigentlich ist es eine ausgelutschte Stammtisch-Figur, die immer dann gebildet wird, wenn es um die „Einstellung“ der Profis geht. Ich will sie hier dennoch bemühen. Was denkt der Arbeiter mit einem Bruttoeinkommen von rund 1.000 Euro, wenn Heiko Westermann in die Kamera jammert, es sei nun einmal wichtig, dass ein echter Kerl am Rand steht (und nicht so ein Schlaffi wie Michael Oenning, wie uns der Subtext sagt).

Man möchte ihm zurufen, mit ein paar echten Kerlen auf dem Platz brauchte es auch keinen starken Mann auf der Bank. Aber sei's drum. Den plötzlichen Wandel vom Abstiegskandidaten zur frisch aufspielenden jungen Truppe, die den Stuttgartern ihr Volksfest vermiest, nur auf einen plötzlichen Wandel der Motivation zu schieben, würde die Leistung des Interimstrainers nicht ausreichend würdigen. Rodolfo Cardoso hat nicht nur als Spaßvogel gewirkt, das war auf dem Feld zu sehen.

Er hat von Vehs und Oennings 4-2-3-1 auf ein echtes 4-4-2 umgestellt. Die Zehn hat er für einen weiteren Stürmer geopfert, die Doppelsechs ein wenig nach vorne geschoben. Da der Raum im Mittelfeld damit etwas großzügiger verteilt ist, erfordert ein solches System von den beiden zentralen Spielern auch mehr Laufarbeit. Cardoso ging damit aber kein Risiko ein, er konnte davon ausgehen, dass seine Spieler viel rennen würden. Mit Tesche und Rincon (oder wie Arnesen ihn nannte, als ihm der Name nicht einfiel: dem kleinen Freund aus dem Mittelfeld) hat er außerdem zwei Dauerläufer aufgestellt, so als wollte er kein Risiko eingehen.

Die Entscheidungen für Lam, Bruma und gegen Jarolim und Guerrero waren keine verkehrten, wenn man davon auch vorher nicht unbedingt ausgehen konnte. Neben dem Willen der Mannschaft zu zeigen, dass Michael Oenning der falsche Trainer war, hat es auch einen neuen Coach gebraucht, der die richtigen Zeichen gibt, und als „echter Kerl“ am Rand steht, um diesen Unsinn ein letztes Mal aufzugreifen.

Fragt sich noch, welchen Anteil Huub Stevens am gestrigen Sieg hatte. Der Trainer ist Favorit auf den Posten in Hamburg und soll nach Medienberichten bereits in Kontakt mit Arnesen stehen. Vielleicht wollten die Spieler dem Neuen ein Engagement auch schmackhaft machen, indem sie zeigen, dass sie auch gewinnen können. Wenn Stevens übernimmt, wird er den Charakter der Mannschaft im Blick haben müssen. Trotz des Zukaufs junger, hungriger Leute sind die Platzhirsche die gleichen geblieben. Und die haben das Bild der vergangenen Jahre geprägt, die Jarolims, die Petrics, die Guerreros. Sie haben schon manchen Trainer über die Klinge springen lassen.

Ein Wort noch zu Stevens. Der HSV ist auf der Suche nach Kontinuität und sucht einen Trainer, der eine Art Ära prägt, der langfristig eine Mannschaft entwickelt. Dass der bundesligaerfahrene Holländer diese Fähigkeiten besitzt, steht ja außer Frage. Allerdings hat er sich von seinen Jobs in Deutschland oft recht abrupt verabschiedet. Die gesundheitliche Lage seiner Frau verbietet ein Urteil darüber. Die Frage, wie lange der HSV an Stevens seine Freude haben wird, muss aber gestellt werden.

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