Dienstag, 12. April 2011

Bayers Ritter gegen Lord Kloppo

Was haben wir seit dem vergangenen Sommer nicht alles über Michael Ballack gelesen! Vom ausrangierten Oldtimer bis zum schwer zu integrierenden Miesepeter haftete ihm manche Beschreibung an. Die Nationalmannschaft brauchte ihn nach nur einem Sieg gegen Australien nicht mehr, prompt stand auch der Sinn seiner Verpflichtung nach Leverkusen in Frage und Deutschland fragte sich nach einer etwa dreimonatigen Verletzung des zuvor besten deutschen Fußballers: Wer ist überhaupt noch auf die Dienste von Michael Ballack angewiesen? Stärkstes Argument aller Ballack-Zweifler war stets die nicht unzutreffende Beobachtung, dass sich das Hierarchiedenken im (deutschen) Fußball verändert hat.
Nicht mehr die polarisierenden und folglich nicht immer beliebten Leitwölfe sollten den Erfolg garantieren, sondern ganz im Sinne der Löw'schen Schule ein harmonisches Kollektiv ohne einen Zampano, dafür aber mit vielen gleichberechtigten Arbeitsbienen, die in den Grenzen des Fußballs intellektuell und niveauvoll geführt werden.
Das Experiment gelingt gerade in Mannschaften wie Dortmund und Mainz, die auf "eckige" Typen verzichten. Vielleicht wird in einigen Jahrzehnten dieser schon kulturelle Wandel einer Sportart die bedeutendste Hinterlassenschaft von Joachim Löw sein. Er hat durch die Beseitigung von Frings und Kahn diese Entwicklung eingeläutet und durch die Nichtberücksichtigung - ja fast Missachtung - von Ballack konsequent fortgeführt.
Der offensichtliche Erfolg dieses Führungsstils manifestierte sich in einer begeisternden WM und plötzlich verstummten selbst die Effenbergs, Kahns, Baslers und Beckenbauers, denen immer diese Typen fehlten.
Trotz Dortmund und Mainz wage ich jedoch zumindest zur Diskussion zu stellen, ob diese so genannten "Typen" nicht doch manchmal für etwas gut sind. Die Leier, dass wir mit Ballack Spanien geschlagen hätten, kann ich auch nicht mehr hören (was die These nicht schwächer macht). Es gibt noch andere Anhaltspunkte, dass Leverkusen keinen allzu fürchterlichen Fehler gemacht hat, als sie Ballack einen Vertrag gaben. Noch mehr Sinn hätte die Verpflichtung gemacht, wenn Ballack ein Außenstürmer wäre, weil Bayer schon einige zentrale Mittelfeldspieler der gehobenen Klasse beschäftigt hatte, aber lassen wir die Haarspaltereien.
Die Werkself spielt sehr untypisch in dieser Saison. Sie ist aktuell die Mannschaft im oberen Drittel der Tabelle, die am wenigsten Punkte liegen lässt und drauf und dran ist, mit ein bisschen Glück den biblischen Vorsprung der Dortmunder auf ein kleines Gebetbüchlein einzudampfen. Nun haben die Leverkusener nicht plötzlich mehr Klasse im Kader, vielmehr scheint endlich ein Mentalitätswechsel Einzug zu halten. Ich will das nicht nur an Ballack festmachen, er nimmt aber, ohne viel dafür zu tun, alleine durch seine Präsenz eine zentrale Rolle ein. Bewusst wurde mir das beim heutigen Studium des Internet-Auftritts der BILD:

Klar, inhaltlich ist das natürlich Humbug. Ist Klopp vielleicht noch zum großen Teil für den Erfolg des BVB verantwortlich, ist es Ballack auf der anderen Seite mit Sicherheit nicht. Dennoch liegt der Fokus auf dem abberufenen Kapitän der Nationalmannschaft, dennoch war ein Redakteur der Meinung, dass Ballack die Figur in Leverkusen ist, die es mit Kloppo und seiner wilden Bande aufnimmt.
Da ist nicht mehr von einer Bubi-Truppe um den väterlichen Trainer Jupp Heynckes die Rede, nicht mehr von Entwicklungspotenzial der Mannschaft. Leverkusen streift mit nur einem Spieler diesen Ruf, der oft als Erklärung für ausbleibende Titel herhalten musste, ab. Da meine Bundesliga-Karriere nie begonnen hat, kann ich nicht beurteilen, ob das einen spürbaren Effekt auf die ganze Mannschaft hat. Vorstellbar ist zumindest, dass Ballack seinen teilweise etwas hippiehaft auftretenden Kollegen wie Simon Rolfes oder Stefan Kießling einen Schbuß Abgezocktheit, ein My Siegergen verpasst hat. Das rationale Spiel Ballacks, der an sein Alter denkend keinen Meter zu viel macht, tut dem wuseligen Bayer-Spiel nicht schlecht. Das ist nicht spektakulär und Ballack ist nicht einmal die Woche der Matchwinner, aber er sorgt für Ruhe, wenn die Jungs um ihn herum zum Hyperventilieren neigen.
Die BILD greift ihrem Credo entsprechend natürlich etwas kurz, wenn sie Ballack zum Hoffnungsträger in Sachen Meisterschaft erklärt, es scheint Bayer jedoch zu helfen, dass sich Mitspieler wie auch immer an ihm orientieren, und die Presse sich auf ihn konzentrieren kann. Wenn er dann noch lernt, wer dieser Andre Schürrle ist, kann er in den kommenden Jahren wie einst Bernd Schuster und Rudi Völler einen erfolgreichen Karriereabend in Leverkusen verbringen.

Keine Kommentare: