Freitag, 27. Juni 2014

Neymar gegen Medel: Duell der Gegensätze

Das Duell könnte nicht gegensätzlicher sein. Wenn am Samstag im WM-Achtelfinale Brasilien auf Chile trifft, wird Neymar sich einem Spieler gegenüber sehen, der ein wenig wie ein Zerrbild des Stars der Gastgeber wirkt. Gary Medel hat schon einen wie Diego Costa erfolgreich abgetakelt und macht sich nun daran, dem gefährlichsten Torjäger der Brasilianer zumindest gehörig auf die Nerven zu gehen.

Neymar ist nur einige Zentimeter größer als Medel, dennoch wirkt der Brasilianer im Vergleich zu seinem Widerpart regelrecht hoch aufgeschossen. Medel sieht kurzbeinig und –armig aus, das liegt aber vor allem an seinem Ehrfurcht einflößenden Torso, der in jede Richtung ein ähnliches Maß zu haben scheint. Neymar hingegen konnte noch kein Kraftraum dieser Welt zu einer Kante machen und selbst ein Maschinenbauer wie Jose Mourinho hätte mit einem wie Neymar wohl so seine Mühe, ihn auf Premier League-Statur hochzuzüchten.

In dieser Premier League ist Medel bereits angekommen. Doch während bei Neymar die schwerreichen Klubs aus London und Manchester ihre Angel auswerfen, hat es den Chilenen zu Cardiff City verschlagen. Einem Klub, der oberflächlich betrachtet das Ergebnis wäre, wenn man aus Gary Medel einen ganzen Klub schafft. Bei einer WM zählt aber nicht immer, bei welchem Verein ein Spieler unterkommt, sondern wie er in seiner Nationalmannschaft funktioniert.

Und da spielt Medel einen vorzüglichen Abräumer. Er vereint auf sich zwei eigentlich nicht mehr hippe Positionen auf dem Feld. Zum einen spielt er einen Staubsauger im Mittelfeld, einen Wadenbeißer, der den gegnerischen Stürmer noch sprichwörtlich unter die Dusche folgt. Zum anderen tritt er zum Teil als echter Libero auf. Auch ein Schöngeist wie Andrea Pirlo lässt sich zwischen die Innenverteidiger fallen. Das aber nur, um das Spiel zu gestalten, um mehr Raum für seine edle Kunst zu haben. Er wirkt dann wie der von den Mädchen angehimmelte Quarterback inmitten eine Schar von Schränken, die so wirken, als übten sie eigentlich einen anderen Sport aus, der viel mit Schmerzen zu tun hat.

Medel besucht aber die Viererkette nicht nur, um in ihrem Schutz Angriffe einzuleiten. Er geht zu seinen Jungs, schiebt die Ärmel hoch und sagt bestimmt Dinge wie „Kommt, machen wir sie fertig!“. In dem Jahr, in dem Neymar 22 wurde, wechselte er nach langem Hickhack, einer nicht enden wollenden Posse zum FC Barcelona. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein Weltstar, der geschickt eine junge Generation von Fußballfans auf seine Seite brachte. Derlei Qualitäten sucht man bei Medel vergeblich, auch wenn er im gleichen Alter, in dem Neymar nach Europa kam, immerhin den Sprung zu den Boca Juniors schaffte. 

Ohne den Fußball sei er bestimmt Verbrecher geworden, sagte er einmal. Ein schwerer Autounfall und der Tod einer jungen Frau, die von seinem Balkon stürzte, überschatten seine Karriere und haben seinen steilen Aufstieg mit Sicherheit gebremst. Einem, den sie „Pitbull“ nennen, fliegen zwar nicht selten die Herzen der Fans zu. Projektionsfläche für allerlei Marketinggedöns ist so einer aber nicht. Er verkörpert die eine Spielart südamerikanischen Fußballs, die Härte, Biss (also jetzt nicht so wie…) und einen ausgeprägten Sinn für disziplinierte Verteidigung vereint. Neymar ist in den Augen vieler eine leuchtende Inkarnation der anderen Seite der Medaille.

Für Trainer Scolari ist der junge Mann mit den feschen Frisuren schon deshalb die Lebensversicherung, weil der Coach ohne seine Nummer Zehn für das Turnier im eigenen Land nichts anderes zu bieten hätte als eine chelseaeske Ansammlung von Fußball-Arbeitern. Neymar erspart ihm die Frage, wo denn der schöne Fußball geblieben ist, der dem Spiel des fünfmaligen Weltmeisters nicht immer zu Titeln, aber stets zu einer besonderen Klasse verholfen hat. Was für ein Druck im Umkehrschluss auf Neymars Schultern lastet, weil er der einzige Vertreter einer Fußballerzunft ist, von der sich die Fans elf Spieler wünschen würden, ist schon hinlänglich behandelt worden.

Medel hat mit diesem Druck nicht zu kämpfen. Die Stars seines Teams sind Arturo Vidal und Alexis Sanchez. Aber er ist das wichtige Rückgrat dieser bisher so positiv überraschenden Mannschaft. Gegen Neymar könnten wir wieder das Raubein sehen. Medel wird das Gefühl haben, dass ein wenig Härte Neymar in seiner Entwicklung gut tut – rein pädagogisch gesehen. Ein Platzverweissammler wie in vergangenen Tagen ist Medel aber nicht mehr. In der vergangenen Saison kam er in 35 Einsätzen mit 6 gelben Karten aus. Auch im Freundschaftsspiel der Chilenen gegen Brasilien im vergangenen November sah er eine – nach Foul an Neymar.

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