Montag, 26. März 2012

Freiburgs Streich gegen Robin Dutts Vermächtnis

Der SC Freiburg ist die erstaunlichste Mannschaft der Rückrunde. Nicht nur die Siege der vergangenen Wochen sondern vor allem die Reaktion nach den zum Teil deftigen Niederlagen lässt die Bundesliga doch staunen. Als Zugabe lieferte die Truppe von Christian Streich noch ein Unentschieden gegen die Bayern und den Sieg gegen den FC Schalke 04. Die vom neuen Trainer völlig umgebaute Mannschaft wird dabei immer stabiler und ist mittlerweile in der Lage, Spiele gegen unterlegene Gegner souverän zu gewinnen.

Das bekam am Wochenende der 1. FC Kaiserslautern zu spüren und niemand wunderte sich so recht über die Niederlage der Pfälzer, die durch die frühen Tore schnell besiegelt war. Streich kann sich auf die Schulter klopfen, er ist auf's Ganze gegangen, hatte aber einen Plan und hat jetzt das Glück, dass der auch noch aufgeht. Dabei war die Winterpause noch von für Freiburger Verhältnisse apokalyptischen Ereignissen überschattet.

Coach Marcus Sorg musste schon nach einem halben Jahr seinen Hut nehmen. Der Mann, der von Robin Dutt empfohlen wurde, wirkte völlig ideenlos an der Linie, seit Thomas Hörster in Leverkusen hat kein Bundesliga-Trainer weniger Spuren und Eindruck hinterlassen. Dutt hatte Sorg wohl bereits statt Thomas Tuchel als Jugendtrainer zum SC gelotst, weil Sorg wiederum ihm eine Chance bei den Stuttgarter Kickers gegeben hatte. Während all dieser Wechselspielchen war Christian Streich bereits in Freiburg tätig. Der Trainerwechsel an Weihnachten zog einen Erdrutsch im SC-Kader nach sich.

Papiss Demba Cisse, Yacine Abdessadki, Felix Bastians, Heiko Butscher und Maximilian Nicu verließen den Verein und Streich holte neben anderen gleich vier Spieler aus der eigenen Jugend bzw. der zweiten Mannschaft in sein Team.  Selbst Fachleuten waren die neun im Schnitt nur 21,5 Jahre alten Winterzugänge weitgehend unbekannt, doch Michael Lumb, Fallou Diagne und Oliver Sorg gehören längst zum Stamm – und mit letzterem hat es dann wenigstens ein Sorg in Freiburg gebracht. Das Geheimnis scheint in einem unerschütterlichen Glauben an den Erfolg zu liegen, das Streich als Väterchen-Figur wie kaum ein anderer zu verkörpern vermag.

Ganz geschickt gibt er sich kauzig, schwadroniert in badischem Dialekt, setzt aber eine blitzgescheite Rhetorik ein, um seine Botschaften zu platzieren. Ein Beispiel: „Wir spielen gegen Schalke 04. Jetzt schauen Sie mal, wer bei Schalke 04 aufläuft. Jetzt üben wir die Woche wie die Verrückten, und dann werden wir die bekämpfen, aber so dermaßen, und dann hoffentlich noch ein bisschen bespielen. Und wenn wir am Ende 3:1 verloren haben, dann geht’s die nächste Woche genau gleich weiter, und wenn wir 2:1 gewonnen haben, dann geht’s auch gleich weiter. Das ist Fußball.“ Es ist ein typisches Statement für ihn. Fast noch deutlicher wird die – vielleicht ungewollt – angewandte Taktik vor dem Spiel beim HSV, Streich erzählt wie beiläufig, dass sein Vater Fan der Hanseaten ist.

„Wenn du da mit ihm sprichst, er hat da mal in der Nähe gearbeitet, dann merkst du schon, was Hamburg war und was das ist, auch für die älteren Semester. Was das bedeutet! Hamburg, Hamburger Sportverein! Da hing bei ihm, das hab ich ihm sogar geschenkt, ein HSV-Poster damals über seinem Büro, wenn er abends da geschafft hat. Der HSV ist schon 'ne richtig große Hausnummer, und da zu arbeiten, in dieser großen Stadt, in dieser tollen Stadt, das ist glaube ich nicht immer ganz so einfach – besonders dann, wenn du nicht so oft gewinnst. Dann sind die Heimspiele manchmal sogar noch einen Tick schwieriger zu bestreiten als die Auswärtsspiele.“

Es ist das gleiche Muster. Erst wird der Gegner auf einen unerreichbaren Olymp gehoben und wenn sich die Zuhörer einig sind, dass da eine ganz schwere Aufgabe wartet, wischt er diesen Eindruck mit einer Bemerkung weg und lässt es plötzlich ganz plausibel erscheinen, dass auch Freiburg gegen diese Gegner etwas holen kann. Das scheint auch bei der Mannschaft zu ziehen, die in erstaunlich kurzer Zeit erstaunlich viel von ihrem kommunikativen Übungsleiter gelernt hat. Das Erfolgsrezept klingt einfach:

„Wir reden mit den Spielern über ihre Bedürfnisse und das ist bei jedem Spieler unterschiedlich. Zum Glück äußern sie die Bedürfnisse, und dann stimmt man die Dinge ab und dann kommt man hoffentlich zu konstruktiven Ergebnissen, was einem vor dem Spiel gut tut. Wenn ich als Trainer kommen würde, 'leg dich eine Stunde vorher in die Badewanne, weil das entspannt dich wahnsinnig', das könnte ja sein, es gibt ja so Trainer – oder 'geh beten' oder sowas, könnte ja auch sein, wenn der Trainer religiös ist, und ich will aber partout nicht in die Kirche, weil ich ausgetreten bin, und ich werde dazu gezwungen, das ist ja nicht gut. Da kann ich ja nicht gut kicken hinterher. Deshalb müssen wir uns ja über so Sachen unterhalten, über individuelle Herangehensweisen. Der eine holt Kraft aus dem Gebet, der andere aus der Badewanne.“

Beten und Baden, und die vielen anderen Dinge finden ihren Grund in dem Enthusiasmus, den der Trainer vorlebt und der sich auf seine Spieler zu übertragen scheint. Die junge Mannschaft lernt, sie begeistert sich aber auch für das, was sie tut, das merkt man ihr auf dem Platz an. Der Kicker mutmaßte in seiner heutigen Printausgabe, dass Streich im Winter gar nur zugesagt habe, um fadenscheinige Kandidaten wie Ralf Rangnick, Murat Yakin oder Falko Götz zu verhindern. Gibt es einen schöneren Liebesbeweis für den eigenen Klub? Freiburg ist neben Augsburg die eingeschworenste Gemeinschaft im Abstiegskampf und verfügt über mehr Qualität als die Schwaben. Sie werden wohl drinbleiben, so unglaublich das unmittelbar nach der „Ära“ Sorg auch geklungen hätte.

Und weil's so schön ist, hier noch ein weiterer „Streich“, zum Abschluss sozusagen: „Da spielt Köln in Kaiserslautern und da denkst du, das bringt ja jetzt eh alles nichts, denkst, wie soll jetzt das Spiel ausgehen. Denkst so oder so. Unentschieden, und dann schießt Köln das Tor und du sagst 'auch nicht schlecht, Kaiserslautern hat keinen Punkt geholt – oh, aber Scheiße, Köln hat drei Punkte mehr, jetzt sind die ja so weit weg, die sehen wir nie mehr.' Und dann schaust du dir das nächste Spiel an, wünschst dir Ergebnisse und dann gehst du auf Toilette, kommst fünf Minuten später zurück, dann haben die anderen ein Tor geschossen und die Mainzer führen in Schalke. Am besten machst du den Fernseher aus, schaust die Tabelle nicht an, spielst, übst. Bringt ja alles nichts.“

Sehenswert für Fans: Der „Streich der Woche“ der Badischen Zeitung.

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