Samstag, 11. Februar 2012

Wenger, Alpay, de Camargo und die Frage nach dem Fair Play

Wie weit darf Fairness im Fußball gehen? Nein, die Frage ist falsch gestellt, das klingt, als sei Fairness etwas wie legales Doping, Medienrummel, Kommerzialisierung oder Allmacht von Oligarchen. Also, anders gesagt, wie viel Fairness kann sich ein Fußballer leisten? Der aktuelle Fall des Igor de Camargo hat mal wieder für viel Aufregung gesorgt, die Frage ist nur, ob er bei den richtigen Personen für Aufregung gesorgt hat.

Zunächst einmal müssen wir de Camargo lassen, dass seine Einlage vom vergangenen Mittwoch einen zweifachen Lerneffekt dokumentiert. Zum einen hatte er schon eine ganz persönliche Erfahrung mit derlei Szenen. Vor ziemlich genau einem Jahr deutete er einen Kopfstoß gegen Matthias Lehmann vom FC St. Pauli an. Lehmann fiel theatralisch, de Camargo sah Rot, Gladbach verlor 1:3. Bis zur roten Karte hatte es für die Kicker vom Bökelberg gar nicht schlecht ausgesehen.

Dem Belgier mit brasilianischen Wurzeln dürfte die Szene damals einiges Kopfzerbrechen bereitet haben. Auch wegen seiner Dummheit hatte die Borussia im Abstiegskampf drei Punkte an einen direkten Konkurrenten abgegeben. Was, wenn genau diese drei Punkte am Ende fehlen? Es ist nicht schwer zu erraten, dass solch eine Szene nachwirken kann und vielleicht hat sich de Camargo auch in Berlin daran erinnert, wie sein Klub damals um drei Punkte gebracht wurde. Jedenfalls hat de Camargo damals begriffen, wie die Bundesliga in diesen Situationen tickt.

Der zweite Lerneffekt ergibt sich aus dem generellen Umgang mit Fairness. Berühmt ist zwar das Beispiel, dass Arsene Wenger einst ein Spiel freiwillig wiederholen ließ, weil Arsenal den Sieg aus einem Einwurf heraus erzielte, der eigentlich an den Gegner gehen sollte. Diese Großtaten des Fair Play sind aber doch eher die Seltenheit. Häufiger begegnet uns das Bespiel Alpay Özalan.

Bei der EM 1996 ließ er als letzter Mann Gegenspieler Goran Vlaovic ziehen, der prompt das einzige Tor der Partie erzielte. Die UEFA verlieh ihm einen Fair-Play-Preis, die türkischen Medien und sein damaliger Trainer hätten ihn am liebsten auf den Mond geschossen. Er hätte dem Kroaten ja nicht gleich die Beine brechen müssen, ein Zupfer am Trikot hätte ja genügt, so war die einhellige Argumentation. Alpay hat sich selbst über den Preis der UEFA nie gefreut, er hätte lieber nicht verloren.

Damit sind wir bei des Pudels Kern. Ist ein Foul ein taktisches Mittel oder sollte es, weil es nicht legal ist, ein Tabu sein? Ist es ein entschuldbares Kavaliersdelikt oder gehört es geächtet? Das ist nicht einfach zu entscheiden. Ein Orientierungspunkt ist einer der Gründe, warum bestimmte Aktionen überhaupt verboten wurden. Die körperliche Unversehrtheit der Spieler sollte geschützt werden. Moralisch akzeptabel könnten also Vergehen sein, die den Gegenspieler offensichtlich nicht verletzen können (wie ein kurzes Zupfen am Trikot).

Fair Play ist anders, aber wir sehen an diesen kurzen Überlegungen, dass Alpay durchaus hätte zugreifen dürfen, berücksichtigen wir die Fokussierung auf den Erfolg der Mannschaft vielleicht sogar hätte zugreifen müssen. Was sagt uns das über Igor de Camargo? Es lässt den gleichen Schluss zu: Wenn Roman Hubnik auf ihn zustürmt, ihm quasi die Nase anbietet, dann kann ein de Camargo mit der Erfahrung von St. Pauli eigentlich nur fallen.

Das ist nicht schön, aber so lange unsere Schiedsrichter mit Verlaub so blöd sind und darauf hereinfallen, werden wir diese Aktionen immer wieder sehen. Klar ist de Camargo jetzt der Buhmann, aber wer fragt danach, wenn Borussia Mönchengladbach DFB-Pokal-Sieger wird? Der eigentliche Skandal ist, dass es eine Regel gibt, die besagt, dass nach einem Platzverweis ein Spieler gesperrt werden muss, also nicht komplett freigesprochen werden kann. Das ist ein Unfug, der abgeschafft gehört.

Noch einmal zurück zu meinem Ausgangsgedanken, dass sich im Augenblick die Falschen aufregen. Es sind gerade einige Kommentatoren, die bei der kleinsten Berührung im Strafraum nach einem Elfmeter rufen und sich damit als Gehilfen aller Schwalbenkönige betätigen. Sie loben andererseits Spieler, die sich im Sechzehner nicht fallen lassen, sondern nach einem Tritt weiter spielen. Hierzu nur zwei Vorschläge: Liebe Schiedsrichter, pfeift auch mal einen Strafstoß, wenn ein Spieler zwar nach einem Foul noch am Ball ist, diesen aber nur noch im Fallen und unkontrolliert aufs Tor schießen kann (wer hat den Schiris eigentlich erzählt, dass das gegenüber einem Elfmeter eine Vorteilssituation ist?)! Und liebe Kommentatoren, bitte stellt öfter mal die Frage, ob der Stürmer da wirklich hätte fallen müssen!

Ein Wort noch zu Alpay. Nach 1996 änderte er seinen Stil und wurde zu einem der übelsten Treter im Weltfußball mit dem traurigen Höhepunkt im Jahr 2005, als er mit seinen Teamkollegen nach der verpassten Quali zur WM in Deustchland die Schweizer ordentlich vermöbelte. Die FIFA sperrte ihn daraufhin für sechs Länderspiele.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Gern gelesen. Fair Play hat für mich was mit guter Erziehung zu tun. Ein unfaires Tor, eine absichtlich brutale Attacke etc. macht doch letztlich nicht froh. Allerdings verwässert man diese Moral durch Begriffe wie "Cleverness" und "Abgezockheit". Wir alle kennen auch in unserem Berufsleben diese "Winner-Typen".